Verirrte Herzen
hörbar: »Vielen Dank. Aber vielleicht kannst du das demnächst lassen. Ich bin sehr glücklich vergeben.« Sie atmete kräftig aus. Die innere Anspannung ließ sich jedoch nicht vertreiben.
Nora lächelte und nickte schließlich. Noch würden sie sich ja einige Male wiedersehen.
Die verbleibende Zeit an diesem Vormittag schwiegen die beiden Frauen.
Beim Hinausgehen streifte Nora wie zufällig Annes Arm. Die Berührung glaubte Anne noch Stunden später zu spüren.
Anne war froh, als ihre Patientin endlich den Raum verlassen hatte. Aber von nun an würde Nora jeden Montag und Freitag kommen. Sie konnte einem Wiedersehen nicht aus dem Weg gehen.
»Gute Nacht meine Kleine. Schlaf gut.« Anne gab Lilly vorsichtig einen Kuss auf die Stirn und bekam nur noch ein leises Murmeln zur Antwort. Sie löschte das Licht und schloss leise die Tür zum Kinderzimmer hinter sich.
Caro hatte in der Zwischenzeit den Abwasch erledigt und wartete im Wohnzimmer auf Anne. Sie hatten an diesem Tag noch nicht viel Gelegenheit gehabt, miteinander zu reden.
Kerzen tauchten den Raum in ein warmes Licht.
Von einem leisen Seufzer begleitet setzte sich Anne etwas steif neben Caro auf die Couch. Ihre Schultern schmerzten. Heute waren alle ihre männlichen Patienten schwere Riesen gewesen, was die Arbeit besonders anstrengend gemacht hatte. Sie war froh, sich endlich ausruhen zu können.
»Wie war die Arbeit bei dir?« fragte Anne.
»Ich habe viel geschafft heute. Ich bin sehr zufrieden mit mir.« Caro lächelte Anne an, machte aber keine Anstalten, tiefer ins Detail zu gehen. Statt dessen schaltete sie den Fernseher ein, um die Nachrichten zu sehen.
Anne lächelte zurück. »Das ist doch gut.« Ihr Blick wich Caros Augen aus und wanderte durch das Wohnzimmer. Sie musste dringend die Blumen gießen, und auf dem großen Schrank sollte sie unbedingt Staub wischen.
»Ja, auf jeden Fall.« Caro starrte auf den Bildschirm.
Anne verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre Füße wippten nervös auf und ab.
»Und wie war dein Tag?« erkundigte sich Caro schließlich, als sie das angespannte Schweigen nicht mehr ertrug.
»Och, ganz gut«, war alles, was Anne entgegnete. Sie nahm ihr Wasserglas vom Tisch, trank einen großen Schluck, ließ sich von der Kohlensäure ein wenig im Mund kitzeln, ehe sie die Flüssigkeit hinunterschluckte, und stellte das Glas wieder ab.
»Schön. Das freut mich für dich«, versuchte Caro Konversation zu betreiben. »Wie war es bei Lilly im Kindergarten?«
»Nichts Besonderes. Sie hat ein Fensterbild gebastelt«, erklärte Anne knapp. Dann stand sie auf. »Ich gehe schon einmal ins Schlafzimmer und lese noch ein bisschen.«
Erst jetzt betrachtete Caro ihre Freundin etwas genauer. »Irgendwie siehst du so anders aus. Hast du etwas mit deinen Haaren gemacht?« fragte sie.
Am Nachmittag war Anne beim Friseur gewesen. Er hatte die Haare etwas gekürzt und gestuft, um ihre Locken besser zur Geltung zu bringen. Sie war vom Ergebnis begeistert.
»Ich war heute beim Friseur. Gefällt es dir nicht?«
Caro musterte sie mit einem kritischen Blick. »Doch, doch. Sieht gut aus«, meinte sie schließlich nicht wirklich überzeugt und wandte sich wieder den Nachrichten zu.
Ohne ein weiteres Wort ging Anne ins Schlafzimmer, um sich dort in Ruhe ihrer Lektüre zu widmen. Doch es wollte ihr nicht gelingen, sich auf die Buchstaben zu konzentrieren.
Nora fiel ihr ein.
Anne musste sich eingestehen, dass sie sich immer mehr auf die Termine mit Nora freute. Morgens stand sie überdurchschnittlich lange vor dem Spiegel und betrachtete sich kritisch. Sie frisierte ihre Haare mit größter Mühe, zog die engste Jeans an. Kurzum, sie machte sich schön für Nora.
Sie konnte Nora einfach nicht aus ihrem Kopf verdrängen. Ihre ungewöhnliche Ausstrahlung zog sie in ihren Bann. Nora ließ immer wieder kleine zweideutige Bemerkungen fallen und machte Komplimente, die Anne schmeichelten. Manchmal ertappte Anne sich bei dem Gedanken, dass es nicht Noras dunkle Augen wären, die ihren Körper streichelten, sondern ihre kräftigen Finger. Sie spürte die angenehmen Berührungen fast real auf ihrer Haut. Sobald Anne aus ihrem Tagtraum erwachte, hatte sie augenblicklich ein schlechtes Gewissen.
Sie liebte doch Caro. Sie war ihre Traumfrau. Sie gehörten zusammen. Für immer.
Aber Caro hatte ihr in letzter Zeit nur noch selten Komplimente gemacht, ihr kaum gezeigt, dass sie ihr etwas bedeutete. Für sie war alles so selbstverständlich
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