Verirrte Herzen
geworden. Wenn Caro abends von der Arbeit kam, war sie meist gestresst, hatte wenig Lust mit ihr zu reden und gab oft nur einsilbige Antworten. Manchmal kam es Anne so vor, als interessiere sie sich gar nicht mehr dafür, wie sie ihren Tag verbracht hatte.
Doch Anne musste sich auch eingestehen, dass sie selbst sich abends immer öfter mit einem Buch zurückzog, sobald Lilly im Bett war. Sie wich Caro aus, ließ weniger Nähe zu als früher. Sie tauschten weniger Zärtlichkeiten aus.
Anne konnte es sich nicht erklären. Sie wollte sich nicht zurückziehen, aber es geschah einfach. Diese Nora machte sie verrückt. Sie konnte doch unmöglich ihre große Liebe aufs Spiel setzen, selbst wenn im Moment vielleicht nicht alles perfekt war. Sie musste ihre Gefühle wieder in den Griff bekommen.
Anne starrte in ihr Buch, aber die Zeichen verschwammen. Sie sah nur die geheimnisvollen Augen mit dem durchdringenden Blick und dieses bezaubernde Lächeln.
Jetzt war es genug, sie musste etwas unternehmen.
Mit einem lauten Ächzen erhob sie sich und ging zurück zu Caro ins Wohnzimmer. Sie legte den Arm um ihre Freundin und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ich möchte doch nicht lesen, sondern mich lieber ein wenig an dich kuscheln.« Anne schmiegte ihren Kopf an Caros Schulter und schloss die Augen.
Zärtlich strich Caro durch ihre Haare und flüsterte leise: »Das ist schön.«
Heute stand schon wieder ein Termin mit Nora an, und zum Glück war es der letzte. Danach würde diese Frau ihr nie wieder begegnen.
Als Anne in die Praxis kam, stand Nora schon vor dem Behandlungsraum und wartete auf sie. »Da bist du ja endlich.« Nora schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, ihre Augen funkelten.
»Ich bring nur eben meine Sachen weg, du kannst gern schon einmal Platz nehmen«, erklärte Anne und bemühte sich, beim Vorbeigehen Noras enge Jeans und das tiefausgeschnittene Top zu ignorieren. Als Anne zurückkam und die Tür zum Behandlungsraum öffnete, sah sie, wie Nora betont unschuldig mit nackten Beinen auf der Liege lag und ihren Körper anspannte, sich reckte und streckte. Sie war wirklich wunderschön.
Anne räusperte sich. »Meinetwegen können wir loslegen.«
Mit einem aufreizenden Augenaufschlag sah Nora zu Anne. »Du siehst heute besonders gut aus. Deine neue Frisur steht dir ausgezeichnet.«
Überrascht fuhr sich Anne durch die Haare und zupfte einige Strähnen zurecht. Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. »Oh, vielen Dank«, stotterte sie verlegen.
Dann ärgerte sie sich erneut über Caros Unachtsamkeit. Einer fast fremden Frau fiel ihr neuer Haarschnitt sofort auf, aber ihre eigene Freundin hatte ihn zunächst gar nicht bemerkt.
Anne bemühte sich, die halbe Stunde so schnell es ging hinter sich zu bringen. Es war gar nicht so schwer, sich Noras Anziehungskraft zu entziehen, ihre atemberaubende Schönheit nicht zu beachten. Zumindest redete sie sich das ein.
Endlich war der Zeitpunkt des Abschiednehmens gekommen. Nora würde aus ihrem Leben verschwinden. Sie könnte sich wieder ganz auf ihre Beziehung zu Caro konzentrieren.
»Das war es. Deinem Knie geht es deutlich besser. Die Beweglichkeit hat sich gesteigert. Aber du solltest trotzdem zu Hause weiter deine Übungen machen«, riet Anne, während sie noch einige Notizen in Noras Krankenblatt schrieb.
»Wirklich schade, dass meine Physiotherapeutin so gut war und ich nun nicht mehr kommen muss.« Nora sah Anne durchdringend an. Sie fuhr sich mit der Zunge leicht über ihre Lippen und fuhr fort: »Aber vielleicht können wir uns ja einmal wiedersehen. Ich würde dich gern zum Essen einladen. Hast du Lust? Ich kenne da ein wirklich schönes Restaurant.«
Ihre Blicke trafen sich. Spürbare Spannung lag in der Luft. Sie raubte Anne beinahe den Atem. Ihre Knie wurden weich, ihr Körper zitterte vor Aufregung. Das Herz machte kleine Sprünge. Zu gern würde sie einen Abend mit Nora verbringen. Aber konnte sie das wirklich machen? Wäre das Caro gegenüber denn fair? »Liebend gern«, nahm sie die Einladung an, trotz der Gewissensbisse, die an ihr nagten. Es war schließlich nur ein Abendessen unter Freundinnen. Mehr würde nicht passieren. Das war noch längst kein Grund für ein schlechtes Gewissen.
»Ich hole dich Sonntag ab, in Ordnung?« Noras Augen ruhten wartend auf Anne.
»Vielleicht sollten wir uns besser direkt dort treffen.« Anne hielt es für eine ausgesprochen schlechte Idee, sich in Caros Anwesenheit von Nora abholen zu lassen. Auch
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