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Verirrte Herzen

Verirrte Herzen

Titel: Verirrte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Schoening
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berührt zu werden. In ihrem tiefsten Inneren wehrte sich etwas dagegen.
    Caro hatte sie während den vergangenen Wochen mehrfach schwer verletzt, ihr zu oft das Gefühl gegeben, ihre Arbeit sei das Wichtigste in ihrem Leben. Es interessierte Caro nicht, wie es ihr ging. Verständnisvolle Worte oder ernstgemeinte Komplimente kamen ihr viel zu selten über die Lippen. Anne fehlte das Gefühl, für Caro etwas Besonderes zu sein, etwas Einzigartiges. Alles war so alltäglich geworden.
    Sie hatte immer geglaubt, mit Caro könne sie bis an ihr Lebensende glücklich sein, aber in den letzten Wochen schlich sich hinterhältig und ganz leise, kaum wahrnehmbar, ein kleiner Zweifel in ihren Kopf und hämmerte unaufhörlich auf sie ein. Er ließ sie nicht zur Ruhe kommen, brachte sie vollends durcheinander.
    Allmählich wurden die Tränen weniger, aber Anne grübelte weiter. Sie hatten zusammen so viele schöne Momente erlebt, so viel gelacht, jede Menge Spaß gehabt. Sie hatten sich blind vertraut, sich ewige Liebe geschworen. Das konnte doch nicht alles verschwunden sein.
    Sie hörte, wie Caro ins Bad ging, den Wasserhahn aufdrehte und die Zahnbürste aus dem Schrank nahm. Caro hatte keine Ahnung. Für sie war alles wie immer.
    Anne biss sich auf die Lippen, als sie daran dachte. Es war nicht richtig, wie sie sich Caro gegenüber verhielt.
    Wenige Minuten später legte sich die ahnungslose Caro neben sie.
    Anne drehte Caro den Rücken zu, schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Aber an Schlaf war immer noch nicht zu denken. Sie lag die halbe Nacht wach. Sie fühlte sich schrecklich, weil sie Caro in Gedanken hinterging.
    Anne hörte Caros tiefe, gleichmäßige Atemzüge. Alles in Annes Brust zog sich schmerzlich zusammen. Mit einem Mal hatte sie das unbändige Verlangen, Caros Körper zu berühren, ihre Wärme in sich aufzunehmen, ihr ganz nahe zu sein. Sie schmiegte sich eng an ihre Freundin und konnte ihren Herzschlag spüren. Sie vergrub ihre Nase tief in Caros Haaren.
    Herr Kleinemann stand schon wartend am Empfang, als Anne am Dienstag die Praxis betrat. Seine Finger trommelten bedrohlich laut auf dem weißen Holz. Sein Blick war hart und angespannt. Das Gesicht war vor Erregung gerötet und ließ nichts mehr von der Freundlichkeit erahnen, die er ihr normalerweise entgegenbrachte. »Ich muss Sie auf der Stelle sprechen. Kommen Sie mit in mein Büro.« Seine Stimme klang kühl.
    »Was ist denn los?« Anne sah ihren Chef irritiert an. Sie konnte sich nicht erklären, was mit ihm passiert war.
    »Nicht hier auf dem Flur«, herrschte Herr Kleinemann sie barsch und viel zu laut an. Maria, die Sprechstundenhilfe, blickte erstaunt zu ihnen auf. In Annes Richtung zuckte sie fragend die Schultern.
    Von dieser plötzlichen Wandlung überrascht eilte ihm Anne nervös hinterher.
    »Bitte nehmen Sie Platz.« Er deutete auf den Lederstuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.
    Nervös setzte sich Anne. Ihr Rücken war steif. Vor Aufregung wurden ihre Hände feucht, ihre Augen waren erwartungsvoll auf Herrn Kleinemann gerichtet.
    Ihr Chef räusperte sich. »Gestern hat mich Herr Günther auf Sie angesprochen.«
    In Annes Kopf ratterte es. Herr Günther. Sie konnte sich an den Namen nicht erinnern. Ihre Stirn legte sich nachdenklich in tiefe Falten. Für einen Augenblick hielt sie den Atem an, ehe sie die Luft durch ihre Lippen presste.
    »Das war Ihr letzter Patient am gestrigen Vormittag. Offensichtlich hatten Sie es zu diesem Zeitpunkt ziemlich eilig«, half Herr Kleinemann ihr auf die Sprünge.
    Plötzlich fiel es Anne wie Schuppen von den Augen, und sie erinnerte sich wieder. Sie war zu diesem Termin eine Viertelstunde zu spät gekommen, und sie hatte sich beeilen müssen, um sie rechtzeitig im Kindergarten zu sein. Sie war halbherzig bei der Sache gewesen und alle Übungen so schnell es nur ging mit Herrn Günther durchgegangen.
    »Er hat erzählt, dass Sie einige Übungen mit ihm gemacht haben, von denen in seiner Akte ausdrücklich abgeraten wird, weil sie ihm große Schmerzen bereiten. Aber das haben Sie offensichtlich ignoriert oder, schlimmer noch, einfach gar nicht zur Kenntnis genommen. Er musste Sie mehrfach darauf aufmerksam machen.«
    Anne senkte schuldbewusst den Blick. Tatsächlich hatte sie die Akte aus Zeitmangel nur überflogen, um dann ein ihrer Meinung nach angemessenes Standardprogramm abzuspulen.
    »So ein Verhalten, eine derartige Unprofessionalität, kann ich hier beim besten Willen nicht tolerieren.

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