Veritas
osmanischen Joch, es gehört zu Rumelien, wie die Türken den europäischen Teil ihres Reiches nennen.»
Ich verstummte vor Staunen. Hristo war demnach ein Untertan der Hohen Pforte.
«Und wie verdiente er sich sein Brot? Hatte er zufällig ebenfalls eine Vorliebe für gefährliche Dienste?»
Die in tendenziösem Ton gestellte Frage verwirrte mich vollends.
«Er war Schachspieler. Er spielte Partien um Geld.»
Atto Melani schwieg.
«Ich weiß, das gewerbliche Spiel ist nicht ohne Risiken», räumte ich ein, «aber jetzt wurde schon wieder ein Studienfreund meines Gehilfen umgebracht, und auch er – welch ein Zufall – gerade in dem Moment, als er sich mit mir treffen wollte. Außerdem haben seine Mörder auch auf mich geschossen. Warum hätten sie das tun sollen, wenn Hristos Tod nichts mit dem Türkischen Aga zu tun hätte?»
«Ganz einfach. Weil sie fürchteten, dass du sie gesehen hast. Vielleicht gehören sie zu Hristos Schachspielerkreisen und wollen unerkannt bleiben. Warum stellst du mir eigentlich so dumme Fragen?»
«Meine Fragen mögen ja dumm sein, Ihr jedoch scheint nicht sonderlich erschüttert über die Todesgefahr, der ich noch vor kurzem ausgesetzt war.»
«Hör mal, was den Tod des Mannes aus Pontevedro betrifft, so besteht, glaube ich, kein Zweifel, dass es eine Abrechnung war. Und auch Hadji-Tanjov ist gestorben, weil er einen falschen Schritt gemacht hat oder, besser gesagt, einen falschen Zug. Sieh du zu, dass du nicht auch falsche Züge machst. Um dich würde ich aufrichtig trauern, doch wer an seinem Unglück selbst schuld ist, möge sich selbst beweinen.»
«Habt Ihr mir wirklich nicht mehr zu sagen?»
«Ich nicht. Wenn du aber unbedingt einen Schuldigen finden willst, dann schau in den Spiegel: Alle, die eine Verabredung mit dir haben, müssen sterben», resümierte er mit einem maliziösen Lächeln.
Ich drang nicht weiter in ihn. Die Neuigkeit, dass Hristo Osmane gewesen war, hatte mir die Brust mit Zweifeln erfüllt. Zudem weigerte dieser bösartige Abbé sich weiterhin, den Tod der jungen Studenten ernst zu nehmen, und mein Beharren hatte einzig die Wirkung, dass er sich noch mehr verschloss. Wenn ich aus dem launenhaften alten Kastraten etwas herausbekommen wollte, würde es mir auf diese Weise gewiss nicht gelingen. Aber jetzt war ich zu müde, um darüber nachzudenken.
Während Atto sich von Domenico aus den Laken helfen ließ und sich auf den Bettrand setzte, zog ich ein Tuch aus der Tasche, um mir das Gesicht notdürftig zu reinigen. Dabei fiel das Silberstück zu Boden, das Cloridia im Palais des Prinzen Eugen entwendet hatte.
«Was ist das?», fragte Atto sofort mit gerunzelten Brauen und schaute in meine Richtung.
Verwundert betrachtete ich seinen wachsamen Blick.
«Meine Blindheit bessert sich des Nachts ein wenig. Das Verdienst der Myrobalanen, einer Latwerge, die Gerapicra genannt wird, und der Tatsache, dass ich bei jedem Wetter mit bloßen Füßen schlafe», rechtfertigte er sich. «Wie auch immer, was war das eben für ein Klimpern?»
Tastend suchte er auf dem Nachttisch nach seinen schwarzen Augengläsern, die ihm der Neffe eilfertig reichte, und setzte sie auf. Ich berichtete ihm von den Umständen, unter denen Cloridia den Gegenstand entdeckt hatte, und legte ihn auf seine Handfläche.
«Interessant.» Er griff danach und schien ihn mit den Fingerspitzen gründlich zu erforschen.
«Aber setz dich doch hier neben mich aufs Bett. Und beschreibe mir genau, was darauf eingraviert ist», bat er.
Ich beschrieb ihm die beiden Seiten der Münze und las die Inschrift vor.
« Landau 1702 , 4 livres? », wiederholte er lächelnd. «Und der Savoyer hielt sie während der Audienz des Agas in der Hand? So, so.»
«Es scheint eine primitive Gedenkmünze zur Feier der ersten Eroberung Landaus durch den Erlauchten Kaiser im Jahre 1702 zu sein», vermutete ich.
«Es ist mehr als das, mein Sohn, viel mehr.»
Landau, begann Atto, war der neuralgische Punkt im Herzen Europas, es lag genau in der Mitte des Kontinents, gleich weit von Berlin, Hamburg, Wien, Mailand und Paris entfernt. Zwar gehörte die Stadt zur Pfalz im Südwesten Deutschlands, oberhalb von Italien und in unmittelbarer Nähe Österreichs, doch war sie seit Jahrzehnten Territorium des Sonnenkönigs: Landau war der Dolch, den Frankreich auf den Bauch Deutschlands und die Flanke Österreichs richtete.
In Anbetracht der enormen strategischen Bedeutung der Stadt hatte Ludwig XIV. schon vor über zwanzig
Weitere Kostenlose Bücher