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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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genug.
    Unterdessen hatte ich den Pfad erreicht, der zur Leopoldinsel zurückführte. Die Bäume wurden spärlicher, jetzt war ich ungeschützt im offenen Gelände. Weder ich noch mein Angreifer rannten noch: Zu Tode erschöpft von der Anstrengung, schleppten wir uns mit weichen Knien voran. In diesem Augenblick explodierte der vierte, entscheidende Schuss. Gerade als ich den Weg einschlug, der mich aus dem Prater herausgeführt hätte, spürte ich den Aufprall auf meinem Rücken. Danach fiel ich mit dem Gesicht voran in den Schnee.
    Bald war der andere über mir. Ich versuchte, mich zu erheben, doch sein ganzes Körpergewicht drückte mich zu Boden. Mit dem Knie blockierte er meine rechte Hand, die linke hielt er mit seiner Hand fest. Mit der anderen zog er ein Messer aus seiner Tasche. Ich wand mich wie ein Aal, und hätte ich ihm noch ein paar Nierenstöße mit dem Knie versetzen können, wäre es mir auch gelungen, mich zu befreien. Allein, seine Bewegungen waren zu schnell, und ein Stich mit seiner gutgeschärften Klinge würde genügen, mir den Garaus zu machen. Wer weiß, fragte ich mich mit der wunderlichen Blitzesschnelle, welche die Gedanken in den entscheidenden Augenblicken des Lebens haben, ob Simonis in diesem Moment in einem anderen Teil des Praters dasselbe Ende nahm. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich der rote Blutfleck, der aus meiner Wunde auf dem Rücken rann, auf dem Schnee ausbreitete.
    Ein Taschentuch verbarg sein Gesicht, nur zwei schwarze, tiefliegende Augen fixierten mich, der Rest, von der Nase abwärts, war sorgfältig versteckt. Seine Augen bohrten sich in meine, während das Messer durch die Luft fuhr und ich mich auf den Tod vorbereitete.
    Da ertönte, wie aus einem Traum, die Stimme:
    «Halt!»
    Wenige Schritte von uns entfernt stand Penicek.

    Mein Henker zögerte einen Augenblick, dann ließ er von seiner Beute ab und stürzte in die Richtung davon, aus der wir gekommen waren.
    Wir versuchten nicht einmal, ihm zu folgen, unbewaffnet, wie wir waren. Er hatte beschlossen, einen ungleichen Kampf zu vermeiden, obwohl er ja immer noch die Pistole bei sich trug. Wenn er Zeit und Gelegenheit fände, sie wieder zu laden, vor allem aber, wenn er entdeckte, dass auch Penicek unbewaffnet war, würde die Sache brenzlig für uns aussehen.
    «Alles in Ordnung?», fragte Penicek mit bestürzter Miene und kam hinkend auf mich zu.
    «Der Rücken, die Verletzung am Rücken», antwortete ich mechanisch, indem ich aufstand.
    Er betrachtete mich und betastete eifrig meine Rückseite.
    «Welche Verletzung?»
    «Ein Pistolenschuss. Er hat mich getroffen!»
    Dann blickte ich zu Boden. Der scharlachrote Fleck auf dem Schnee, den ich für mein Blut gehalten hatte, war nichts anderes als jenes rote Tuch, welches das Schachbrett von Hristo Hadji-Tanjov umhüllt hatte.
    Das kostbare Arbeitswerkzeug des armen Bulgaren war während meines Zweikampfes aus dem Sack gerutscht und zu Boden gefallen. Ich berührte meinen Rücken: Er war unversehrt. Dann begriff ich. Ich nahm mir den Sack vom Rücken. Er war tatsächlich von einer Kugel durchbohrt worden. Ich bückte mich zur Erde und ergriff das rote Tuch mit seinem Inhalt. Der Stoff war ebenfalls durchlöchert. Ich zog das Schachbrett heraus. Der metallene Boden hatte nur Beulen. Die Kugel war von der verzierten Eisenplatte abgefangen worden. Hristo Hadji-Tanjovs Schachbrett hatte mir das Leben gerettet.
    «Wo ist der Herr Schorist?», fragte Penicek besorgt.
    «Er ist in Richtung Donau geflohen», antwortete ich und bat ihn, mich zu begleiten. «Wir müssen ihm schnell zu Hilfe eilen. Ein anderer Mann verfolgt ihn. Wie hast du uns gefunden?»
    «Ich habe den Pistolenschuss gehört und begriffen, dass Ihr in Gefahr wart. Dann bin ich Euren Spuren im Schnee gefolgt», sagte er, während wir uns in Marsch setzten. «Aber wo steckt Hristo?»
    Als ich ihm alles erzählt hatte, wurde Penicek bleich vor Entsetzen. Wir gingen zu der Stelle, wo ich mich von Simonis getrennt hatte.
    Von meinem Gehilfen fanden wir keine Spur. Wir setzten die Suche noch eine gute Weile in höchster Sorge fort, weil wir keine Fußspuren sahen und überdies befürchten mussten, Hristos Mörder könnten sich wieder an unsere Fersen heften. Ich war mittlerweile fast völlig erstarrt und betete darum, dass meine Zehen nicht schon erfroren waren.
    Endlich erreichten wir die kleine Anlegestelle am Kanal zwischen dem Prater und der Insel Die Schütt. Einige kleine Boote für die Beförderung von

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