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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Wenn die Ältesten im Volke sich an den damaligen Trauerfall in der Kaiserlichen Familie erinnerten, der viele weitere Trauerfälle mit sich gebracht hatte und immer noch mit sich brachte, erzitterten sie vor Furcht. Joseph war noch nicht geblattert.
    Jetzt aber war es geschehen.

    «Die ersten Symptome traten vor fünf Tagen auf. Bis heute ist die Krankheit geheim gehalten worden. Ich selbst habe es erst gestern Abend erfahren», sagte die Chormeisterin, die Stimme vom Weinen gebrochen.
    So erfuhren wir, dass Joseph der Sieghafte am Erchtag, dem 7. April, bei seiner Mutter zu Abend gespeist hatte und kurz darauf von einem leichten Kopfweh befallen wurde. Eine unbedeutende Beeinträchtigung, am nächsten Tag schon verflogen, sodass der junge Kaiser am Mittwochmorgen beschloss, sich auf die gewohnte Treibjagd zu begeben. Bei seiner Rückkehr klagte er jedoch über einen starken Druck auf der Brust, Atemnot und eigenartige Schmerzen im ganzen Körper. Plötzlich plagte ihn ein Brechreiz, infolge dessen er eine beträchtliche Menge Wasser ausschied. Der Leibarzt wurde gerufen, der das Leiden übermäßiger Nahrungsaufnahme während der österlichen Feiertage zuschrieb und für denselben Abend ein Pulver aus zerstoßenem Hyazinth und verschiedenen Edelsteinen verschrieb.
    Die Nacht verlief unruhig. Am Morgen des folgenden Tages, Donnerstag, dem 9. April, wurde Joseph erneut von einem sehr heftigen Erbrechen heimgesucht, bei dem er schleimige, schlechtverdaute Materie spuckte, gefolgt von reinster Galle in großer Menge. Das leichte Kopfweh war zurückgekehrt, sonderlich aber quälte ihn ein starker, wandernder Schmerz in Bauch und Brust, welcher sich schließlich in den Lenden festsetzte. Joseph der Sieghafte, ein junger Mensch, stark und tapfer, einst ein mutiger Soldat, schrie wie ein Kind. Urin und Puls waren zum Glück normal, also wurde ein Klistier, oder auch eine Insufflation mit Wasser und Salz, verabreicht, welche ihre löbliche, wohltuende Wirkung tat. Die Schmerzen freilich gingen bis zum Abend fort, die Schreie ebenfalls. Das Klistier wurde wiederholt und führte zu drei ergiebigen, galligen Ausscheidungen. Zudem wurde (nach den bekannten Anweisungen des Aristoteles) ein Pulver aus Knospen und gediegenem Zinnober verschrieben. Gegen Abend stieg der Puls, und um ein Uhr nachts ward er entschieden fiebrig.
    Während Camilla sprach, hallte, gleich dem dunkeln Totengeläut einer Glocke, ein Datum in meinem Kopf: der 7. April. An diesem Tag hatte Josephs Krankheit begonnen, doch auch der Türkische Aga war in Wien eingetroffen. Mehr noch: Am Tag darauf war Abbé Melani in der Stadt angekommen …
    «Ist man sich wirklich sicher, dass es die Blattern sind?», fragte ich Camilla.
    «Das ist, was bisher gesagt wurde.»
    «Wie geht es dem Kaiser jetzt?»
    «Man weiß es nicht. Leider wurde über die neuesten Entwicklungen strengste Geheimhaltung gewahrt. Aber … wo lauft Ihr denn hin?»

    «Hä? Was redest du da?», nuschelte Abbé Melani unter seiner Decke, die Zunge schwer vom Schlaf.
    «Ihr spielt den Ahnungslosen? Das habe ich erwartet!», schrie ich außer mir vor Zorn.
    Wie eine der Erinnyen war ich in Attos Gemächer gestürzt. Ich hatte lärmend an seine Tür geklopft (die Zellen der Nonnen lagen recht weit entfernt), und Domenico, der entsetzt aus dem Bett gesprungen war, hatte mir geöffnet, überzeugt, die Stadt brenne lichterloh oder eine andere furchtbare Katastrophe drohe.

    «Der Türkische Aga ist nur einen Tag vor Euch in Wien angekommen, und jetzt tut nicht so, als wüsstet Ihr das nicht! Das habt Ihr auch diesmal schlau ausgeheckt, Ihr und dieser Derwisch!»
    «Derwisch? Ich weiß nicht, wovon du sprichst», entgegnete Atto, während er sich aufrichtete.
    «Herr Onkel …», versuchte Domenico sich einzumischen.
    «Ja, der Derwisch im Gefolge der Türken, dieser Ciezeber, der sich bei seinen widerwärtigen Ritualen in Stücke schneidet und dann geheilt wird, als wäre nichts gewesen. Mit feinen Leuten umgebt Ihr Euch, Abbé Melani! Und mit dem Derwisch macht Ihr gemeinsame Sache, um den Kopf des Kaisers zu bekommen. Ha, da staunt Ihr, was? Hättet Ihr nicht gedacht, dass ich das herausbekomme!»
    Onkel und Neffe verstummten. Das machte mir Mut, und ich fuhr fort:
    «Ihr behauptet, Abbé Melani, dass Ihr um des Friedens willen hier nach Wien gekommen seid. Ihr habt mir den Brief dieses Verräters Prinz Eugen, der sich an Frankreich verkaufen will, unter die Nase gehalten, aber den anderen Schachzug

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