Veritas
lag es an der Stille, die in der Simmeringer Haide herrschte. Maximilians Sohn hatte jedenfalls den Ort Ohne Namen zu seinem Labor erwählt und dort ein geheimes, überaus gut bestücktes alchemistisches Kabinett eingerichtet.
«Do druntn woas, im Suterräu», sagte Frosch und zeigte mir den Eingang zum runden Wachtturm auf der Ostseite des Schlosses, wo ich bei unserem ersten Besuch auf den hängenden Hammelkadaver gestoßen war.
Wenn Rudolf seine nächtlichen Experimente durchführte, habe man durch das einzige runde Fenster seiner Alchemistenküche von der umliegenden Simmeringer Haide aus die irisierenden Flammen über den Kolben sehen können, mit denen der Nachfolger Maximilians die geheimen Kräfte der Elemente spekulierte, erklärte Frosch.
«Do sans, de Gschpensta, oba maunche haaßns a de ‹Hexenkuchl›», erklärte Frosch mit ironischem Lächeln, womit er zu verstehen gab, dass die Furcht, die alle vor diesem Ort hegten, ebenso groß war wie dessen Gespenster flüchtig.
«Herr Meister, der Kleine und ich sind fertig», unterbrach uns Simonis, der sich ordnungsgemäß ausstaffiert und alle Werkzeuge herausgesucht hatte, die für die kommenden Arbeiten benötigt wurden.
Für meinen Kleinen hatte ich eine besondere Aufgabe parat. Ich befahl ihm, Frosch im Auge zu behalten und uns Nachricht zu geben, sobald er sich entfernte. Wir wollten seine Abwesenheit nutzen, um das Fliegende Schiff zu besuchen.
Nach Froschs Erzählungen hatte der Ort Ohne Namen sich um ein neuerliches Geheimnis bereichert. Während wir uns zwischen dem Staub der Kamine und Rauchfänge abmühten, um die beim letzten Male begonnene Arbeit fertigzustellen, gingen mir seine Worte durch den Kopf.
Der Löwenwärter hatte den Tod Maximilians erwähnt und den Sohn, der ihm nachgefolgt war, den unglücklichen Rudolf II. Seltsamerweise war Simonis’ Erzählung beim letzten Besuch im Simmeringer Schloss gerade mit dem Tod Maximilians abgebrochen: Meinem Gehilfen war plötzlich eingefallen, dass die Tore Wiens in Kürze schließen würden, und wir hatten schnell in die Stadt zurückeilen müssen.
Also berichtete ich Simonis, was Frosch mir über Maximilian und seinen Sohn Rudolf erzählt hatte. Zunächst schwieg er und fahr fort, Putzbrocken von einem großen eisernen Spachtel abzukratzen. Dann legte er das Gerät beiseite, um sich Wangen und Stirn mit dem Handrücken abzuwischen, und es war, als fiele ihm mit den Kohlepartikeln und Staubkörnern eine dünne Hautschicht vom Gesicht. Mein Geselle Simonis, ein mittelloser junger Mann mit einem schwachsinnigen Lächeln, ein lustloser und recht träger Student, wurde wieder zu dem Kenner der Reichsgeschichte, als der er sich seit wenigen Tagen entpuppt hatte.
«Der Löwenwärter hat Euch nicht belogen, Herr Meister; die Wiener glauben wirklich, dass es an diesem Ort Gespenster gibt. Auch ist es wahr, dass Rudolf, der Sohn Maximilians, ein Alchemist und Okkultist und sehr unglücklich war. Doch Frosch hat Euch nicht erklärt, warum. Wie Ihr wisst, hat dieser Ort keinen Namen.»
«In der Tat. Darum heißt er ja auch ‹Ort Ohne Namen›.»
«Ihr wisst freilich auch, dass er einen Spitznamen hat: Neugebäu, was ‹Neues Gebäude› heißt.»
«Ja, ich weiß.»
«Nun, findet Ihr das nicht eigenartig? Eine so beeindruckende Stätte und zwei Nicht-Namen: ‹Ort Ohne Namen› und ‹Neues Gebäude›?»
«Ich dachte, Maximilian sei gestorben, bevor er einen endgültigen Namen gefunden hatte», antwortete ich.
«Nein, Herr Meister. Es gibt Residenzen, wie zum Beispiel Schönbrunn, die ihren Namen erhielten, noch bevor der erste Stein gesetzt wurde. Neugebäu wäre niemals auf seinen wirklichen Namen getauft worden, er musste erraten werden.»
«Erraten?»
Er trocknete sich erneut den Schweiß von der Stirn und begann wieder, den Spachtel zu säubern, den er beiseitegelegt hatte.
Die wechselvolle Entstehungsgeschichte des Ortes Ohne Namen, erklärte Simonis, war das Rätsel, dessen Lösung sich mit dem Fortschreiten der Arbeiten zeigen sollte. Erst wenn sie vollendet waren, würden das Schloss und seine Gärten dem, der zu sehen verstand, ihre wahre Natur enthüllen. Dann würde sein Name allen, die das Sinnbild erraten hatten, spontan über die Lippen kommen.
Und so hätte die vox populi ihn wahrscheinlich «Süleymans Zelt» oder «Der Untergang des Türken», «Maximilians Rache» oder auch «Der Triumph Christi» genannt, je nach Neigung und Scharfsinn derer, die ihn besucht
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