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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Gottesmutter stirbt durch einen Hieb mit der Hellebarde ins Gesicht, ein Wiener Jesuit wird mit zerschmettertem Schädel gefunden. Übel zugerichtet und die Kleider in Fetzen, schlüpft der Bischof von Olmütz in einen Laden und beschwört die Besitzerin auf Knien, ihn nicht zu verraten, ja, er bietet ihr sogar hundert Gulden an, wird aber mit Fußtritten davongejagt. Ein Soldat überfällt den Bischof von Wien, stiehlt ihm seinen kostbaren, mit Perlen und Edelsteinen besetzten Hirtenstab und schlägt seinen Diener blutig, während der Bischof die heiligen Pontifikalien im Stich lässt und Reißaus nimmt. Sogar der Erzbischof von Prag, der doch kaum mehr gehen konnte, rennt davon wie ein Hase.
    Über zwei Stunden vergehen, bevor wieder Ruhe einkehrt. Langsam kommen die Flüchtigen hervor und bilden erneut einen kleinen Zug hinter Maximilians Bahre. Doch dieses Geleit ist schmutzig, zerfetzt, zittrig und grau wie der bleifarbene Himmel über der Stadt. Auf den Schultern der Teilnehmer liegen keine kostbaren Stolen mehr, sie tragen keine mit Perlen geschmückten Handschuhe, und die mit Gold und Silber bestickten Barette liegen im Schlamm begraben oder stecken in den Taschen der Schakale. Die Geistlichkeit ist auf die Hälfte geschrumpft, die Sänger verschwunden, die Prozession schreitet in tiefem Schweigen voran. Einige humpeln, die meisten blicken vorsichtig um sich; niemand wagt, die Schmach von eben zu kommentieren; jeder fragt sich vergebens, was dieses Inferno heraufbeschworen hat und warum es so plötzlich endete, wie es begonnen hatte. Die Predigt in der Veitskirche auf dem Hradschin dauert eine knappe halbe Stunde. Nach der Messe geht der junge Rudolf zum Altar, um ein Almosen zu hinterlegen, in den Händen hält er feierlich eine große, weiße Kerze.
    Alle Blicke sind auf ihn gerichtet, sie erwarten eine Antwort. Welch eine tiefe Furche mögen die Ereignisse von Regensburg und Prag in seine Seele gegraben haben? Das Volk, das ihn erwartungsvoll ansieht, weiß es noch nicht, doch dieser Albtraum hat Rudolfs Gemüt, das die Feinde des Vaters ohnehin schon aufgerieben hatten, den Gnadenstoß versetzt: Von nun an wird er Rudolf der Misanthrop, Rudolf der Hitzige, Rudolf der Verrückte sein.
    «Nach den ersten Regierungsjahren», erklärte Simonis, «begriff jeder, dass sein Geist umnachtet war. Er war besessen von Magie und Alchemie, ihn befielen Albdrücke und Ängste. Im Laufe der Zeit verschloss Rudolf sich immer häufiger in geheimen Orten für Schwarzkünste und geriet in Abhängigkeit von den niedrigsten seiner Diener. Schließlich besudelte er auch diese Stätte hier, das Neugebäu, mit seinen Hirngespinsten.»
    «Also ist es wahr, dass er hier im Ort Ohne Namen ein alchemistisches Kabinett hatte.»
    Simonis bejahte. «Rudolf war verrückt, doch vor allem, und das ist ärger bei einem Kaiser, war er eine tragikomische Figur. Er hatte in seiner Jugend zu viel Entsetzliches gesehen. Darum verbrachte er seine Abende lieber damit, die Planeten zu studieren, statt seine Augen zu gebrauchen und selbst zu urteilen.»
    Gegen den Willen des Vaters verlegt Rudolf die Hauptstadt des Reiches: Aus dem lieblichen Wien zieht der Hof in das magische, dunkle, diabolische Prag. Hier hatte sich das schändliche Geschehen bei Maximilians Begräbnis abgespielt, hier sollte Rudolf den Verstand verlieren.
    Im August des Jahres 1584 kommen zwei englische Magier in die Stadt: Jan Devus (der sich jedoch John Dee nennen lässt) und Eduard Kelley. Devus, dem Astrologen der Königin Elisabeth, geht der Ruf eines Weisen voraus. Er spricht mit Geistern, nachdem er sie zuvor mit einem magischen Spiegel gerufen hat, einer Kugel aus Quarz, die er angeblich vom Erzengel Uriel erhalten hat. Schwer zu sagen, ob er ein Betrüger oder ein Besessener ist. Kelley lässt sich «Engelander» nennen (sein wahrer Name ist Talbot), und er scheint ein gemeiner Schwindler zu sein: Er hat verstümmelte Ohren (in England ist das die Strafe für Fälscher), die er mit seinen langen, öligen Haaren bedeckt. Die Nase ist spitz wie ein Krähenschnabel, die Augen klein wie Mausaugen, der Blick feige und gierig.
    Die beiden spintisieren und taktieren, ja faszinieren. Mit allerlei Listen locken sie den Leuten das Geld aus der Tasche: astrologische Vorhersagen, Remedia gegen Krankheiten, vage Versprechungen auf den Stein der Weisen. Das Gerücht geht um, sie seien Spione und Aufwiegler, von der Königin Elisabeth geschickt, um die Vorherrschaft der Habsburger in

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