Veritas
Es ist Viertel vor neun Uhr am Morgen des 12. Oktober, seinem Namenstag.
«Er war tot, aber er hatte seine letzte Schlacht gewonnen, denn er hatte all jene besiegt, die sein Ende für ihre Zwecke missbrauchen wollten. Maximilian hatte die Korruption der Römischen Kirche angeprangert, aber zu den protestantischen Fürsten, welche die Türken unterstützten und forderten, dass das Reich sich für immer von der katholischen Religion lossage, war er nicht gewechselt. Seine lutherischen Feinde, jene, die ihn gewählt hatten und nun, unterstützt von Ilsung, Hag und Ungnad, seinen Tod herbeiführten, hatten das Nachsehen.»
«Aber warum hatten sie beschlossen, ihn gerade jetzt zu töten?»
«Weil kein Zweifel mehr bestand, dass Maximilian sich nicht in ihre Pläne fügen würde. Er hatte sich geweigert, dem katholischen Glauben abzuschwören, und gegen die Türken hatte er gekämpft, solange er konnte. Er eignete sich nicht mehr für ihre Vorhaben. Vielleicht würde sein Nachfolger leichter zu manövrieren sein. Als Maximilian sich auf die Reise machte und in protestantische Lande kam, konnte die Gelegenheit für den heimlichen Todesstoß nicht günstiger sein.»
Unterdessen hatten wir begonnen, die Rauchabzüge im Erdgeschoss des Schlosses zu suchen. Wir waren durch den Haupteingang eingetreten, den Frosch extra für uns offen gelassen hatte, und hatten einen großen Saal mit einer dreifach höheren Decke erreicht, der unsere Stimmen wie in einem Kirchenschiff widerhallen ließ. Dieser Boden war einst von den Stiefeln Maximilians betreten worden, hier hatte er innerlich gejubelt, wenn eine Säule endlich an ihren Platz gestellt, eine Mauer verputzt oder ein Fries oben an der Wand angebracht worden war.
Ein großes Fenster auf der gegenüberliegenden Seite gab den Blick auf die Gärten im Norden frei. In den Wänden zur Rechten und Linken führten zwei große Türen in andere Säle. Alles in diesem riesigen, quadratischen Raum war kahl: die Wände, der Boden, die Decke. Für diese traurigen Mauern hatte Maximilian der Mysteriöse sich gewaltige Gemälde, Trophäen, Statuen und Wandteppiche gewünscht.
«Seht Ihr, Herr Meister? Es gibt hier nichts. All seine Wünsche wurden in den Fängen der Verschwörung von Ilsung, Ungnad und Hag zermalmt.»
Als wir uns umwandten, sahen wir durch die geöffnete Tür die Fialen der sechseckigen Türme über die Mauer ragen, die den Schlosshof von den Gärten trennte. Genau von der Stelle aus, wo wir jetzt standen, musste Maximilian sein ungeheures Projekt überschaut haben, während die Arbeiter am Werk waren. Die Erzählung ging weiter.
Während Maximilian im Sterben liegt, hält sein junger Sohn Rudolf im Rathaus zu Regensburg die Abschlussrede des Reichstags. Der Text ist in aller Eile vom sterbenden Vater vorbereitet worden, es war Maximilians letzte Tat. In den vergangenen Jahren hat er zusehen müssen, wie sein Sohn nach und nach den Verführungen der Erzieher erlag, welche ihm seine Feinde aufgezwungen hatten. Und so ist der Erbe des Kaiserthrons nur mehr ein schwaches Geschöpf in den Händen Ilsungs und seiner Getreuen.
Während er vor den Reichsfürsten und päpstlichen Legaten steht, die Rede des Vaters in den Händen, wird Rudolf kurz von einem Boten angesprochen. Man flüstert ihm ins Ohr, dass Maximilian verschieden ist. Er bleibt ungerührt, als wäre dies eine bedeutungslose Nachricht. Dann liest er in dem Bewusstsein, dass er nun Kaiser ist, weiter, und keinen Augenblick lang zittert seine Stimme. Verliert er jetzt die Kontrolle, das weiß er, werden die seinem Vater feindlich gesinnten Fürsten einen Tumult auslösen und seine Wahl auf den Kaiserthron sabotieren.
Die Sitzung verläuft ruhig und geordnet. Rudolf hat den Kampf gegen sein Gefühl gewonnen. Doch die Erschütterung jenes Augenblicks und die schrecklichen Ereignisse, die ihn noch erwarten, werden nicht ohne Folgen bleiben.
Rudolf bittet die Fürsten, Regensburg nicht zu verlassen, und beruft sie für den nächsten Tag ein. Er muss ihnen den Tod seines Vaters mitteilen; bis dahin wird der Kaiserhof Schweigen bewahren. Man lässt den Leichnam öffnen; die inneren Organe werden in einem kupfernen Behältnis im Regensburger Dom beerdigt.
Während David Ungnad seelenruhig nach Konstantinopel aufbricht, wo er sich wieder zwei Jahre lang aufhalten wird, beginnt Maximilians letzte Reise: die traurigste, leidvollste, dunkelste.
Zum Zeitpunkt seines Todes hat man noch nicht entschieden, wo der Kaiser
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