Veritas
verhüllt und mit dem Schwert bewaffnet; dann der päpstliche Legat mit einem breitkrempigen Hut, von dem die grünen Quasten hängen; in den von perlengeschmückten Handschuhen gewärmten Händen trägt er eine große weiße Kerze. Auch die Reichsfürsten, die den Trauermarsch beschließen, tragen Kerzen, sie punktieren die Strecke mit leuchtenden Funken. Manch einer vergießt Tränen, die vom Regen fortgewaschen werden. In der dunklen Menge halten Gruppen von Edelleuten die Heilige Krone Österreichs, die Kronen Ungarns und anderer Länder des Reiches, die zitternd funkeln wie Sterne in einer Winternacht. Auf die vorbeiziehenden Menschen folgt eine andere Parade: die der Pferde. Allen voran Maximilians Streitross, bedeckt von einem traurigen, schwarzen Tuch mit den Kaiserlichen Wappen. Dann das Pferd des Reiches, mehr geschmückt als alle anderen, umgeben von Bannern und Standarten; schließlich die Berber von Schlesien, Spanien, Tirol und Frankreich. Alle scheinen mit gesenkten Lidern, unsicherem Schritt und angelegten Ohren ihren Beitrag zur Trauer leisten zu wollen.
Der Leichenzug erreicht die Kirche des Heiligen Jakob in der Prager Altstadt, gleich hinter dem Rathaus. Der Sarkophag überquert eine Straße zwischen zwei Offizinen, ein Ort, an den die Gläubigen seit ewigen Zeiten pilgern, um die Reliquie des Heiligen Chrysostomos zu besuchen. Plötzlich aber wirft jemand, um Unruhe zu stiften, Münzen in das trauernde Volk. Das Vorhaben glückt: Unter lautem Geschrei stürzt der Plebs sich auf die Münzen, es entsteht ein Handgemenge. Die Soldaten der Eskorte laufen in die Seitengassen, um die Spitze der Prozession zu verstärken; die Raufereien und das Klirren ihrer Waffen lösen den Alarm aus: «Verrat, Verrat! Es ist wie in Antwerpen!», rufen die Zuschauer, die in den Fenstern, auf den Regenrinnen und Simsen hocken. Sie denken an die jüngsten Massaker an Katholiken auf protestantischem Gebiet.
Die Sargträger geraten in Panik, die Bahre wankt, Maximilians verweste Knochen drohen zu Boden zu fallen. Düstere Vorahnungen befallen alle, die noch widerstehen; unter dem Sarkophag kommt unerklärlicherweise eine gewaltige, grässliche Sau hervor. Die Träger versuchen, sie mit brennenden Fackeln zu vertreiben, doch vergebens; darauf fliehen sie in Todesangst, überzeugt, dies müsse eine Teufelserscheinung sein, derweil das Tier sich so schnell wieder verflüchtigt, wie es erschienen war.
Bleich und zitternd ist Rudolf alleine zurückgeblieben. Während alle ihn verlassen, bleibt der junge Mann neben dem Sarkophag seines Vaters stehen. Er will das Schwert ziehen, doch einer der Höflinge, ein Gespenst vielleicht, das wer weiß woher aufgetaucht ist, hält seinen Arm fest und hindert ihn daran, die Waffe zu ergreifen. Rudolf dreht sich um, erblickt aber niemanden und erwartet in jedem Augenblick den Messerstich des Verräters. Erst in diesem Moment kommen einige berittene Bogenschützen, um ihm zu helfen.
Kopflos flüchten die Teilnehmer des Trauerzugs durch die Gassen voller Schnee und Schlamm. In den Straßen bricht zügellose Gewalt aus: Der Wahnsinn droht Prag zu verschlingen, der Hass des Volkes auf den Klerus tobt sich aus, jeder, der ein geistliches Gewand trägt, wird wie ein Hund gehetzt. Alles flieht, die Schnellsten sind die Bischöfe, Äbte und Jesuiten. Sie springen von den Brücken in das kalte Wasser des Flusses, flüchten sich in Wohnhäuser, Keller, werden von den Hausbesitzern überrascht, geohrfeigt, mit Fußtritten davongejagt. Der Dekan des Hradschins fällt in einen Keller und bricht sich ein Bein, auf ihn stürzen ein Kanoniker und zwei Äbte, die von den Frauen des Hauses sofort mit Stockhieben vertrieben werden. Einer der drei sucht Unterschlupf in einer Spelunke nebenan, doch man wirft ihn unter Beschimpfungen hinaus. In der allgemeinen Raserei tritt jeder auf den Nächsten, fällt, wird fortgerissen, mit Schlamm und Exkrementen der Pferde besudelt und getötet.
«Die Verräter hatten ihr Netz überall geknüpft», sagte Simonis. «Der Irrsinn jenes Tages in Prag war das Gift, das sie dem Körper des Reiches eingeflößt hatten. Es war die Generalprobe für das, was sie später anrichten würden. Und es war das Zeichen des Fluches, den sie gegen Maximilian ausgestoßen hatten.»
In den Straßen von Prag werfen die Geistlichen wie von Sinnen Habit und Talar fort, um schneller laufen zu können, und fliehen halbnackt vor den Protestanten. Der Prior des Klosters Unserer Lieben
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