Veritas
Menagerie des Ortes Ohne Namen. Er kümmerte sich um die Löwen, aber auch um die anderen Tiere. Während er sich vorstellte, zitterten mir die Beine immer noch wie Espenlaub. Er bot mir einen Schluck aus seiner Flasche an, die er sich beständig an den Hals setzte. Ich lehnte ab: Wenn ich nur an den bluttriefenden Kadaver zurückdachte, drehte sich mir der Magen um.
Frosch erriet meine Gedanken und beruhigte mich: Es war nur ein Stück Hammel, das er dort aufgehängt hatte. Er wollte damit den Löwen anlocken, der ihm entwischt war.
Diese Erklärungen wurden mir leider in der einzigen Sprache dargeboten, welcher der Tierwärter mächtig war, nämlich dem kehligen, löchrigen und entstellten Deutsch, das der niedrigste Wiener Plebs spricht. Ich werde sie hier wiedergeben, als hätte es sich um eine normale Konversation gehandelt und nicht um eine babylonische Wirrnis. In Wirklichkeit musste ich ihn um Wiederholung jedes zweiten Satzes bitten, was bei Frosch ungeduldiges Schnauben hervorrief und, nachdem er sich an seiner Flasche mit Schnaps gelabt – jenem kräftigen alkoholischen Getränk, mit dem er sich bei Laune hielt –, mehrere ärgerliche Rülpser.
«Italiener. Rauchfangkehrer», stellte ich mich in meinem rudimentären Deutsch vor. «Ich … reinigen Kamine Schloss.»
Frosch nahm den Grund meines Kommens mit Befriedigung zur Kenntnis. Es sei höchste Zeit, dass irgendein Kaiser sich mal wieder um das Neugebäu kümmere. Derzeit wohnten nur er und die Tiere hier, schloss er, auf Mustafa zeigend, der gerade mit großem Appetit den letzten Happen vom Muskelfleisch des Hammels verschlang.
Von Zeit zu Zeit warf der Wächter dem Löwen einen bösen Blick zu, dann schien Mustafa (sein Name sollte die ungläubigen Türken verhöhnen) sich gedemütigt und zerknirscht zusammenzukrümmen. Der mürrische Wächter besaß offenbar eine unbezwingliche Autorität über die Bestie. Er versicherte, dass mir jetzt keinerlei Gefahr mehr drohe: Wenn Frosch da war, gehorchten alle Tiere blind. Gewiss, es gebe seltene Ausnahmen, räumte er halblaut ein, schließlich hatte der Löwe sich seiner Aufsicht entzogen und war bis eben noch frei herumspaziert.
Also befand ich mich nicht in einem Albtraum, dachte ich mit einem Seufzer der Erleichterung, während ich mich anschickte, von meinem Reittier abzusteigen. Darauf nahm ich es in Augenschein, nunmehr gewiss, dass sich mir ein weniger irrwitziger Anblick des Segelschiffes in Raubvogelgestalt bieten würde als in jenen Schreckenssekunden kurz zuvor.
Doch nein. Ich hatte ein höchst geheimnisvolles Gefährt vor mir, das ich nur als Mischung aus Ungeheuer und Maschine bezeichnen konnte!
Es war eine Kreuzung zwischen einem Schiff und einem Wagen, einem Raubvogel und einem Walfisch. Es hatte die stabile Form eines Karrens, den geräumigen Rumpf eines Lastkahns und das makellose Segel eines Schiffes. Am Bug das stolze Haupt eines Greifen mit krummem, räuberischem Schnabel; am Heck die Schwanzfedern einer großen Gabelweihe; an den Seiten die mächtigen Schwungfedern von Adlerflügeln. Es war so lang wie zwei Kutschen und so breit wie eine Feluke. Es bestand aus altem, rissigem, aber nicht fauligem Holz. An Bord, mitten in einem großflächigen Raum, der einem Bottich ähnlich war, fanden außer dem Steuermann drei oder vier Personen Platz. Am Bug und am Heck befanden sich zwei primitive Globen, vom Zahn der Zeit halb zerfressen, deren einer die himmlischen Sphären und der andere die Erde vorstellte, als wollten sie beide dem Luftschiffer den Kurs vorgeben. Das ganze Schiff (wenn man es wirklich so nennen konnte) war von einem großen Segel überwölbt, dessen Einspannung ihm die Form einer Halbkugel verlieh. Am Heck schließlich flatterte die Fahne, die ich eben noch vergeblich herauszureißen versucht hatte. Sie trug ein Wappen, überragt von einem Kreuz.
«Des is es Fahndl vom Portugieserreich», erklärte Frosch.
Nur eines hatte ich wirklich geträumt: Das Segelschiff hatte sich nicht in die Lüfte erhoben, sondern ruhte fest auf der Erde.
Voll Verwunderung fragte ich ihn, was um alles in der Welt dieses absonderliche Fahrzeug sei und wie es hierhergekommen.
Als fürchtete er, seine Erklärung könne unglaubwürdig wirken, kramte er kurz in einer Ecke des Hofes und hielt mir, statt einer Antwort, einen Stoß Blätter unter die Nase. Es war eine alte Flugschrift.
Auch in der schwierigsten Sprache ist die Lektüre einfacher als die mündliche Konversation. Ich setzte
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