Veritas
Kara Mustafas von Belgrad nach Wien, wo sie es wie zum krönenden Abschluss der Vergeltungsmaßnahme niemand anderem als Kardinal Collonitz aushändigten. Am 17. September 1689 ließ der Kardinal den Kopf im Bürgerlichen Zeughaus deponieren. Seither waren zweiundzwanzig Jahre vergangen.
«Und wie zum Teufel bist du an das Haupt des Kara Mustafa gekommen? Woher wusstest du, wo es zu finden war?», fragte Atto.
«Erst habe ich eine minuziösliche Forschkundigung und dann eine sehr gaunerliche und schurkige Entwegnehmung verangestellt», erläuterte Ugonio.
Dem Heiligenfledderer war es also nicht nur gelungen herauszufinden, dass der Kopf Kara Mustafas sich im Bürgerlichen Zeughaus befand, er hatte ihn sogar stehlen können. Hatte ich ihn nicht schon in Rom etliche solcher verruchten Aktionen durchführen sehen?
Ugonio hatte sich mittlerweile, wie er selbst mit kaum verhehltem Stolz bekannte, bei den Sammlern auf diesem Gebiet so etwas wie einen guten Namen gemacht. So wie nämlich in Rom, der Stadt des Papstes, die Reliquien von Heiligen einen blühenden Markt bildeten, erfreute sich hier in der Kaiserstadt alles, was mit den beiden Belagerungen zu tun hatte, größter Beliebtheit, darunter vorzüglich die Geschosse aus den osmanischen Kanonen. Der Heiligenfledderer zählte eine Reihe begehrter kleiner Beutestücke auf, nach denen ihn sehr gelüstete, wie den neunundsiebzig Pfund schweren Stein, der im Jahre 1683 von der Leopoldinsel abgefeuert worden war und immer noch, mit entsprechend würdiger Gedenkinschrift versehen, in der Fassade des Neustädter Hofs steckte, einem Durchhaus ganz in der Nähe, das von der Preßgasse zur Krebsgasse führte. Oder die drei Kanonenkugeln von fast einem halben Klafter Durchmesser, ebenfalls mit Gedenkstein in die Wände eines Hauses im nahen Örtchen Sievering eingemauert, welches darum auch das Dreykugl-Haus hieß. Oder die berühmte Goldene Kugel, die von den Türken am 6 . August 1683 abgefeuert worden war und noch heute in der Front eines Eckhauses auf dem kleinen Platz Am Hof steckte, einem Gasthaus, das dem Äußeren Rat und Rumormeister Michael Motz gehörte. Er hatte die Kugel vergolden lassen und dem Haus den Namen Zur Goldenen Kugel gegeben. Eine andere türkische Kugel konnte man in der Saalwand des Bierhäusls Zum Goldenen Drachen in der Steindlgasse bewundern. Auch der Eszterházykeller in Haarhof war voll von heiligen Reliquien des Türkenkrieges, und die Männer, welche die Stadt 1683 verteidigt hatten, pflegten sich dort des Abends mit einem Glas guten Weines zu erquicken. Ganz zu schweigen von den kostbaren Andenken, die der große polnische König Sobieski hinterlassen hatte, als er am 13. September 1683, dem Tag nach dem Sieg über die Türken, in der Loretokapelle persönlich das Te Deum gesprochen hatte. Und zuletzt, schloss Ugonio, dem vor Gier schon der Mund troff, die Reliquie aller Reliquien: In der Romanischen Kapelle der Schottenkirche befand sich die älteste Marienstatue Wiens, gut vierhundert Jahre alt, von welcher es hieß, sie habe die in den ersten Tagen der Belagerung von 1683 ausgebrochene Feuersbrunst auf wundersame Weise gelöscht.
Dieses, man ahnte es bereits, würden die nächsten Opfer der heiligenfleddernden Raubgier sein. Während Ugonio sie lüstern auflistete, seufzte ich insgeheim.
Denn wieder einmal tappte ich im Dunkeln. Der Kopf also gehörte Kara Mustafa; Ciezebers Rituale dienten nur heilenden Zwecken; Abbé Melani, ein armer Greis, war zu einem erbärmlichen Zerrbild seiner selbst verkommen, das bald vergehen würde. Aber der Kaiser war krank und der Grand Dauphin auch!
Wenn dies für Atto von Bedeutung war, so berührte es mich doch weit weniger. Jetzt, wo der Abbé mir gebeichtet hatte, dass er auf dem europäischen Schachbrett keine Rolle mehr spielte, konnte ich endlich erleichtert aufatmen. Ich riskierte nicht mehr, wegen Hochverrats auf dem Schafott zu enden. Oder nein, im Gegenteil, sagte ich mir plötzlich, erneut in Bedrängnis: Jemand musste schließlich Danilo, Hristo und Dragomir umgebracht haben, Simonis’ Kommilitonen! Da der Bulgare und der Rumäne, wie der Abbé sagte, Untertanen der Hohen Pforte waren, hatte sogar Atto am gestrigen Abend nicht ausschließen wollen, dass es einen Zusammenhang zwischen den drei Morden gab.
Eines stand fest: Wir hatten immer noch nicht herausgefunden, was sich hinter dem lateinischen Satz des Agas verbarg. Er konnte nicht so unbedeutend sein, wie man während der Audienz im
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