Veritas
Brötchen. Um Mitternacht wieder eine Suppe aus Eigelb mit Spezereien. Kannst du dir das vorstellen?», rief Cloridia.
Die Frau des Kammerherrn hatte entbunden und einen hübschen Jungen geboren. Mein süßes Weib war soeben vom Palais des Prinzen Eugen zurückgekehrt; jetzt konnte sie ihren Dienst bei Abbé Melani wieder aufnehmen und mich von der Pflicht ihrer Vertretung befreien. Da Atto selig schnarchte, fuhr Cloridia fort, von der Entbindung zu berichten. Kaum war sie niedergekommen, hatte die Wöchnerin begonnen, sich, wie es in Wien Brauch war, gehörig mit Köstlichkeiten jeder Art vollzustopfen.
«Ich habe sie gefragt: ‹Willst du das alles wirklich schlucken? Du musst doch kein Kalb stillen!› Weißt du, was sie mir geantwortet hat? Dass die Wöchnerinnen in ihrer Heimat in Niederösterreich noch viel mehr essen! Sofort nach der Geburt prassen sie vom Frühstück über Zwischenmahlzeiten bis zum Mittagessen und Nachtmahl vierundzwanzig Stunden lang ununterbrochen. Von den Feierlichkeiten nach Geburten ganz zu schweigen: Es gilt als Beleidigung der Gäste, wenn weniger als einhundertzehn Pfund Schmalz, sechzig Pfund Butter, tausend bis zweitausend Eier, hundertzwanzig Pfund Semmelmehl und ein ganzes Fass Gewürztraminer verbraucht werden.»
Während Cloridia unentwegt plapperte, überdreht wie immer, wenn sie von einer glücklich verlaufenen Niederkunft kam, dachte ich schon an etwas anderes. Die Frau des Kammerherrn – sie war es gewesen, die Cloridia verraten hatte, dass Prinz Eugen das Papier mit dem geheimnisvollen Satz des Agas in seinem persönlichen Diarium aufbewahrte.
Zwar schien es nunmehr so, als hätten die Türken wirklich nicht viel mit der Krankheit des Kaisers zu tun, doch wenn wir endlich verstehen wollten, was zum Teufel sich hinter dem Satz des Agas verbarg, blieb uns nichts anderes übrig, als einen Blick auf das Blatt selbst zu werfen. In unserer Situation war jeder Versuch willkommen.
Ich wartete ab, bis meine Frau ihre Ansprache beendet hatte, dann erzählte ich ihr mit gedämpfter Stimme, um Atto nicht zu wecken, von den Ereignissen der ersten Tageshälfte: vom Geständnis des Abbés, vom Kopf Kara Mustafas und den übrigen Geschehnissen.
«Daran habe ich auch schon gedacht», sagte Cloridia schließlich. «Vielleicht muss der Satz anders gedeutet werden, vielleicht ist es eine Geheimsprache, oder auf dem Papier, das der Aga vorgelesen und Eugen überreicht hat, gibt es noch etwas anderes.»
«Glaubst du, es könnte dir gelingen, dir dieses Blatt von deiner Wöchnerin aushändigen zu lassen, nur für ein paar Stunden?»
«Ich sagte dir doch, ich habe auch schon daran gedacht!», antwortete sie und zog es aus der Tasche.
Ich hütete mich nachzufragen, dank welcher Versprechen und unter welchen Gefahren Cloridia das Papier vom Kammerherrn oder von seiner Frau erhalten hatte.
«Ich muss es noch heute Abend zurückbringen. Prinz Eugen schreibt jeden Tag nach dem Essen in seinem Diarium.»
«Apropos, wollte er heute nicht nach Den Haag abreisen?»
«Er hat die Reise verschoben.»
«Und warum?»
«Das weiß man nicht.»
«Vielleicht wegen der Krankheit des Kaisers», vermutete ich.
«Möglich. Ihrer Majestät geht es aber besser. Wie auch immer, wenn Eugen im Krieg ist, nimmt er sein Diarium immer mit. Wir haben Glück, dass er noch nicht aufgebrochen ist.»
Sie reichte mir das Blatt. Mitten auf der Seite stand, von unsicherer türkischer Hand geschrieben, der berühmte Satz soli soli soli ad pomum venimus aureum . Mehr nicht.
«Darf ich eintreten?», fragte Simonis in diesem Augenblick.
Er musterte das Blatt aufmerksam und hielt es gegen das Fenster, um es im Tageslicht genauer betrachten zu können.
«Herr Meister, wenn Ihr heute keine weiteren Aufgaben für mich habt, könnte ich Euch vielleicht helfen herauszufinden, ob dieses Stück Papier etwas verbirgt.»
«Zum Ort Ohne Namen fahren wir ohnehin erst morgen. Diese Sache hier ist dringender. Doch wie willst du das anstellen?», fragte ich neugierig.
«In meinem Zimmer habe ich genau das Richtige für diesen Fall.»
Kurz darauf waren wir alle in Simonis’ Kammer. Dort fanden wir Penicek, über die Studienhefte des Griechen gebeugt, darin er eifrig kritzelte, während Opalinski die Aufzeichnungen seinerseits abschrieb.
«Bist du fertig, Pennal?», fragte Simonis barsch.
«Exakt in diesem Moment, Herr Schorist», stammelte Penicek. «Bitte sehr, ich habe alles in Reinschrift kopiert.»
«Gut», versetzte
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