Veritas
es sein können, dass das Fliegende Schiff von einem dieser Wirbel oder Windhosen, wie immer sie heißen mögen, erfasst und hochgehoben wurde. Denn schließlich können diese Winde ganze Flotten packen, in die Lüfte heben, an einen anderen Ort tragen und sie dann auf der Erde absetzen, ohne dass die Mannschaft den geringsten Schaden davonträgt.»
«Zudem ist das Fliegende Schiff sehr viel kleiner und leichter als jene Schiffe, die manchmal von den Windhosen angehoben werden», stimmte ich nachdenklich zu.
Der Grieche nickte erfreut.
«Allerdings …», wandte ich ein, «wehte denn ein Wind, als wir im Ballspielhaus abgeflogen sind?»
Simonis schwieg.
«Mich dünkt, dass nicht», antwortete ich selbst.
«Nein, es gab keinen Wind», bestätigte er schon weniger keck.
«Gab es Wirbel oder besonders heftige Luftströmungen?», drängte ich weiter.
«Äh, nein. Nein, die gab es wirklich nicht», räumte er ein.
«Es ist also in höchstem Maße unwahrscheinlich, dass das Fliegende Schiff sich mit Hilfe einer Windhose erhoben hat», schloss ich.
«In höchstem Maße ist der rechte Ausdruck, Herr Meister», beglückwünschte mich Simonis.
Ich schwieg einen Augenblick, um sicherzugehen, dass mein Gehilfe keine anderen Beweisgründe hatte. Er hatte keine. Enttäuscht betrachtete ich den Stoß Bücher, die Opalinski zusammengerafft hatte. Mein Gehilfe machte sich daran, sie wieder in den Stoffsack zu stecken.
«Eine Frage, Simonis: Warum versteht Jan Janitzki, was in diesen Büchern geschrieben steht, und du nicht?»
«Das ist einfach, Herr Meister: Er studiert.»
Ich wollte ihn fragen, was er dagegen an der Universität trieb, doch ich hielt mich zurück. Er hatte mir ja schon ausführlich erklärt, welches die wirklichen Beschäftigungen der Wiener Studenten waren.
Als mein Geselle die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte ich mich zu Atto um: Er schlummerte noch immer, den Kopf geneigt und in starrer Haltung auf dem Sessel zusammengekauert.
Der Glückliche! Das Alter nahm ihm die Kraft, den mannigfachen Kalamitäten die Stirn zu bieten, und übergab ihn stattdessen den Armen des Morpheus, welche das Vergessen schenken. Früher hätte er unermüdlich nach Lösungen gesucht und sich den Kopf zerbrochen, so wie ich in diesem Moment. Denn ich war verwirrt. Nichts schien noch eine erkennbare Logik zu haben, doch gleichzeitig durfte ich keine Einzelheit vernachlässigen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, den Faden meiner eigenen Handlungen zu verlieren und ein katastrophales Ende zu nehmen: Nachdem ich einer Verurteilung zum Tode wegen Spionage für Frankreich entgangen war, riskierte ich jetzt, der Mittäterschaft bei einer Mordserie oder auch verdächtiger Manöver zum Schaden Prinz Eugens und seiner osmanischen Gäste angeklagt zu werden …
Auch dachte ich bei mir: Cloridia und ich waren nach Wien gegangen, um unserem Leben eine Wende zu geben. Wir hatten die Stadt der Päpste und ihren Trug hinter uns gelassen: das undurchsichtige, doppelbödige Rom, die kaltherzige Stiefmutter, die ihre Kinder vernachlässigt. In der Kaiserstadt meinten wir, eine andere, reine Luft zu atmen. Doch nun schien die Kutsche unseres Lebens wieder im Schlamm des Argwohns und der Lüge festzustecken. Sogar der diabolische, hinter seinen Brillengläsern verschanzte Abbé hatte Mühe, mit den Ereignissen Schritt zu halten.
Oh, Fliegendes Schiff, entfuhr es mir unwillkürlich, oh, Arche der Wahrheit, hast du mich nur in den Himmel emporgehoben, um mich zu täuschen? Ich war dem Morast Roms entflohen, jetzt wanderte ich wieder im trüben, grauen Pfuhl des Möglichen.
11. Stunde, wenn Handwerker, Sekretäre, Sprachlehrer, Priester, Handelsdiener, Lakaien und Kutscher zu Mittag speisen
«Man beginnt um drei Uhr in der Früh mit einer Suppe aus drei Eiern und Spezereien. Um fünf eine Paste aus drei Eiern und Hühnersuppe. Um sieben zwei frische Eier. Um neun Suppe aus Eigelb mit Gewürzen und eine gute Portion Streiblen, dazu ein Glas Traminer. Um zwölf Uhr Kapaun und geröstete Vögel, Wildhuhn und Wein mit verschiedenen Brotsorten. Um eins gebackenes Zuckerwerk und Wein. Um drei nimmt man die Vesper aus gebratenem Kapaun, einem Teller frittierten Fisch, dazu Wein, Brot und verschiedene Brötchen. Um fünf eine süße Eierspeise mit Wein. Zum Nachtmahl fünf bis sechs Gänge, darunter Gesottenes, Gebratenes und Süßwasserfische. Um sieben wieder eine gute Hühnersuppe. Um neun eine Schüssel Gebäck, dazu Brot, Wein und
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