Veritas
in der Kaiserstadt als auch in der Ewigen Stadt einen grünen Reisigbusch über die Tür. Es waren just römische Soldaten, welche die Weinrebe in Wien einführten, und so ist auch der Wein – wie die Habsburger, die Musik und die prächtigen Häuser – ein Stolz der Wiener, dessen Ursprünge in Italien liegen.
Der Haimböck galt als eine der besten Straußenwirtschaften, doch im Grunde kann man bei den Heurigen gar nicht enttäuscht werden: Der weiße oder rote Wein, in der Familienkellerei gekeltert, ist immer leidlich oder gar besser, der panierte Truthahn der Frau oder Mutter des Wirtes stets schön knusprig, das Schwein mit Kümmel wohlriechend und zart, das Brathendl frisch und saftig wie die runden Bäckchen des Madl mit den blonden Zöpfen, welches einem das dampfende Hendl serviert.
Normalerweise geht man durch ein Gartentor und setzt sich unter die Bäume in einen kleinen Innenhof, wo noch der derbste Gast genug Feingefühl besitzt, sich flüsternd zu unterhalten (in Rom müsste man sich an einem solchen Ort wegen des lautstarken Geschwätzes und Gelächters und des Lärmens klappernder Teller, quietschender Stühle und Tische die Ohren zuhalten); und wenn es keinen Platz an den Tischen gibt, hockt man sich in Nischen, die in die jahrhundertealten Bäume gegraben sind, oder man speist an einem behelfsmäßigen Schanktisch aus rohen Holzbrettern, die auf einem Mäuerchen liegen. Wenn es regnet, sitzt man in der Höhlung eines alten Fasses, das artig mit Tischchen, Hockern und Spitzendeckchen versehen ist, wie ein Eichhörnchennest aus einem Märchen.
Schon beim Eintreten ist man verzaubert von der heiteren, gelösten Atmosphäre, die einen so umschmeichelt, dass man, servierten sie einem Essig statt Wein und trockene Brotkrumen statt des Truthahns, dennoch mit Genuss äße, derweil man sich am Rauschen der Blätter, am Gezwitscher der Vögel, am Lächeln der Wirtstochter und an dem Frieden labt, welcher von dieser gesegneten Erde ausgeht. Hier ruht das weise Wien. Und während man ein Glas mit Heurigem von der Farbe des Rubins in den Händen hält und sich in seinen zinnoberroten Abgründen verliert, klingt einem das Kollern aus dem nahen Hühnerhof wie ein Chor ägäischer Jungfrauen und der Schrei eines Esels vom nahen Bauernhof wie ein Vers des Sophokles; und man wundert sich nicht, wenn einem, wie es mir an jenem Tag geschah, die Beschreibung Österreichs des Aeneas Silvius Piccolomini in den Sinn kommt. Ich hatte sie gelesen, bevor ich in Wien ankam, und in der Erinnerung wurde sie mir fast zur Poesie:
Das Erzherzogtum Österreich ob und unter der Enns liefert Wein an die Bayern , Böhmen , Mähren und Schlesier , und daher kommt der große Reichtum der Österreicher . Die Weinlese dehnt sich bei den Wiener Bürgern bis zu vierzig Tagen aus , aber kein Tag vergeht , an dem nicht dreihundert mit Most beladene Wagen zwei- oder dreimal aus den Vorstädten nach Wien hineinfahren , und bei der Lese mühen sich eintausendzweihundert Pferde für diese Aufgabe ohne Unterbrechung . Wein im Hause zu verkaufen , wird nicht durch Geringschätzung behindert . So wird man kaum einen Bürger finden , der das Gewerbe nicht ausübt . Sie heizen nämlich Stuben , richten eine Küche ein und kochen hervorragende Speisen …
Mein süßes Weib und ich träumten davon, in dem Weinberg auf der Josephina, den Atto uns geschenkt hatte, eines Tages selbst einen Buschenschank zu eröffnen. Diesem Traum gab ich mich nun, auf einer Bank in der sonderbar menschenleeren Wirtschaft sitzend, sehnsüchtig hin, während Penicek auf dem Kutschbock wartete und die beiden anderen Koloman suchten. Ich würde mit dem Knaben weiterhin dem einträglichen Gewerbe des Rauchfangkehrers nachgehen, in dem mein Sohn mir nachfolgen sollte; Cloridia aber würde in unserem Buschenschank eine sichere Beschäftigung als Wirtin finden. Wir würden unsere beiden Mädchen nach Wien holen, die ihrer Mama in der Küche und im Ausschank helfen könnten, während wir für den Weinberg ein paar tüchtige, starke Burschen aus der Gegend finden würden. Wer weiß, vielleicht würden sie mich eines Tages um meinen Segen für den Ehebund mit meinen Töchtern bitten, und so würde die ganze Familie, einschließlich der Enkel (so es Gott gefiel), wachsen und gedeihen …
«Herr Meister, Herr Meister, schnell!»
Die Stimme kam von weit her und aus der Höhe. Ich suchte mit Blicken, sah aber nichts. Ich stand von der Bank auf und tat ein paar Schritte. Simonis
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