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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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rief mich vom Dachboden eines Dienstgebäudes, das auf den Hof für die Tiere blickte und mit dem Wohnhaus des Wirts durch ein niedriges Gebäude, vielleicht die Ställe, verbunden war. Er stand an einer Dachluke im hinteren Teil des Hauses und fuchtelte heftig mit den Armen, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. So riss er mich aus dem süßen Schmachten, in welches die Idylle und der erste Schluck vom roten Weine mich versetzt hatten.

    Es war nicht nötig, die Treppen hinaufzusteigen. Als ich nach dem Eingang suchte, stieß ich auf die Gäste des Buschenschanks (hier also steckten sie), bei ihnen war der Hausherr mit seiner Familie. Sie alle umringten den Hühnerhof. Da sah ich es.
    Zuerst hielt ich ihn für eine Vogelscheuche, eine dieser Puppen aus alten Kleidern und Stroh, mit denen man die Vögel von der Aussaat auf den Feldern fernhält. Doch was tat eine Vogelscheuche in einem Hühnerhof? Nein, es war Koloman. Er sah fast so aus wie Populescu, als wir ihn fanden: Auch er war aufgespießt, aber auf Holzpfähle, nicht auf Kerzenhalter.
    Ein Lattenzaun aus zugespitzten Pfählen, tief in das Erdreich gesteckt, schützte die Hühner vor den Raubzügen von Füchsen, Mardern und Wildkatzen. Auf die spitzen Zacken gepfählt, blickte Koloman, der große Liebhaber, Koloman, der arme ungarische Ober, Koloman, der angebliche Baron aus Warasdin, nach Osten, in Richtung der weiten Ebenen seines Ungarn. Die Hühner, Hennen und Truthähne hatten nichts bemerkt. Gemessen spazierten sie scharrend durch ihr Gehege, und unsere Gegenwart störte sie mehr als ihre Vogelscheuche aus Fleisch und Blut.

    «Mörder! Bestien! Das sind keine Menschen», stotterte Opalinski, heftige Schluchzer unterdrückend.
    Wir standen jetzt in der kleinen Dachbodenkammer, wo Simonis aus der Luke geschaut hatte, um mich zu rufen.
    «Mörder? Wer?»
    Das hatte, ohne den Blick von der Leiche zu wenden, mein Gehilfe gesagt.
    «Die Leute, die Koloman umgebracht haben», antwortete ich, besorgt, der Schock habe ihn seiner Vernunft beraubt.
    Der Grieche sagte nichts. Er blieb an der kleinen Fensterluke stehen und blickte nach oben, zum Dach, nach unten, zu Koloman und den Pfáhlen; dann hob sein Blick sich wieder und wanderte zu den Ställen, die das Gebäude mit dem Haus des Wirts verbanden. Ich folgte den Bewegungen seiner Augen und sah am Fenster, das uns gegenüberlag, die verstörten Gesichter zweier blühender junger Mädchen, wahrscheinlich die Töchter des Wirts. Neben ihnen, an der Hauswand, zeigte eine Sonnenuhr halb vier Uhr nachmittags. In diesem Augenblick wandte sich Simonis zu uns um:
    «Und wenn es ein Unglück war?»

    Nachdem wir den Haimböck eilig verlassen hatten, fuhren wir jetzt ziellos über den nahe gelegenen Hügel, der Am Predigtstuhl genannt wurde.
    Vom schroff abfallenden Gipfel aus blickte man auf das Panorama der Kaiserstadt. Wien erstreckte sich vor unseren Augen, und während am Himmel über der Stadt die Schatten schwarzer Regenwolken drohten, lächelte dort, wo wir uns befanden, unpassenderweise noch warm die Sonne.
    Viel war geschehen nach unserem Abschied von dem armen Koloman, beginnend bei dem Streit zwischen Opalinski und Penicek. Die Dinge hatten sich folgendermaßen zugetragen:
    Gegen ein sattes Trinkgeld hatte der Wirt sich bereit erklärt, noch eine halbe Stunde zu warten, bevor er die Stadtguardia rief.
    Kerzengrade stand er dort, der Hausherr, beobachtete uns und wartete, dass wir endlich fortgingen. Er hatte uns nicht einmal nach unseren Namen gefragt. Ihn interessierte nur das Geld, mit dem wir uns die wenigen Minuten Ruhe für den Abschied von unserem Freund gekauft hatten. Wahrscheinlich glaubte er, wir seien Verwandte oder Freunde von Koloman und gekommen, ihn zu besuchen. Der Stadtguardia würde er nur den Leichnam des Jungen zeigen und sagen, er sei vom Dach gestürzt.
    Er habe ihn nie zuvor gesehen und kenne ihn nicht, würde er sagen. In Wahrheit hatte er ihn am Tag zuvor sehr wohl kennengelernt, als Koloman von dem italienischen Mönch, den er gebeten hatte, ihn zu verstecken, in den Haimböck gebracht wurde. Was danach geschehen war, wusste der Wirt nicht, und er wollte es nicht wissen. Ihm genüge das Geld, das er von dem Mönch erhalten hatte, sagte er, was ihn freilich nicht hinderte, auch das zu nehmen, was wir ihm anboten.
    Uns blieben wenige Augenblicke, bevor wir gehen mussten. Der Tod Kolomans, der vierte, ließ von der Gruppe Freunde, die ich vor wenigen Tagen bei der Deposition kennengelernt

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