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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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mit dem Spezial hast du erfunden, los, gestehe!»
    Der Pole redete irre. Penicek hatte mir im Prater nach Hristos Tod das Leben gerettet. Janitzkis Beschuldigungen ergaben keinerlei Sinn. Ich sagte es ihm, während ich in Simonis’ Augen nach Unterstützung suchte.
    «Jan, beruhig dich. Was du da behauptest, ist aberwitzig. Sag auch du es ihm, Simonis.»
    Der Grieche war mit mir im Prater gewesen, er wusste genau, dass ich seinem Pennal mein Leben verdankte. Doch der Blick meines Gehilfen, über dessen bleiches Gesicht kalte Schweißtropfen liefen, verlor sich im Nichts. Es war mir unmöglich zu erkennen, ob er undurchdringlich oder einfach nur leer war.
    Der Pole war unterdessen abgestiegen. Er wollte keine Minute länger in Gesellschaft des Pennals sein und wollte zu Fuß in die Stadt zurückkehren.
    «Geht zum Rothen Crebs und sprecht mit dem Spezial!», rief er uns zu, indem er sich entfernte. «Wir werden ja sehen, ob er die Lügenmärchen dieses teuflischen Böhmen bestätigt!»
    Hochroten Kopfes ließ Penicek seinen entsetzten Blick von mir zu seinem Schoristen und weiter zu dessen Hand wandern, die in seinem Sack kramte.
    «Zum Rothen Crebs, Pennal!», befahl Simonis.
    Penicek rührte sich nicht.
    «Dreh dich um und fahr los!», brüllte er ihn an und griff ihm von hinten an den Hals.
    Der Hüftlahme wandte seinen Blick von uns ab und drehte sich wieder zur Straße um, als wollte er seinem Schoristen gehorchen. Doch die Kutsche setzte sich nicht in Fahrt.
    «Ich … ich», hub er schließlich an. «Janitzki hat recht, ich war nicht die ganze Zeit in der Spezerei.»
    Ich sah verblüfft zu ihm auf, während Simonis seinen Griff um den Hals des Pennals nicht lockerte.
    «Ich … glaube, ich habe das Rätsel um den Satz des Agas gelöst», sagte er schließlich.
    Und so berichtete der arme Hinkende, als er die Himmelpforte verlassen habe, um zur Spezerei zu fahren, sei er mit seiner Kalesche an dem Palais Zum Haidenschuss vorbeigekommen.
    «Ich blicke auf, und was sehe ich? An der Fassade des Gebäudes befindet sich die Statuette eines Türken zu Pferde, der seinen Krummsäbel zieht.»
    «Na und?», versetzte Simonis. «Diese Statuette ist berühmt, jeder kennt sie.»
    «Ja, ich habe sie auch schon gesehen», bestätigte ich.
    «Kennt … kennt Ihr auch die Geschichte der Statue?», fragte der Pennal, dem die Zunge vor Angst noch immer am Gaumen klebte.
    «Nein», antworteten wir unisono.
    Nachdem Simonis ihm befohlen hatte, uns zum nahen Hügel Am Predigtstuhl zu fahren, damit wir in der stillstehenden Kutsche keinen Verdacht bei den Passanten erregten, begann Penicek zu erzählen. Die Überlieferung der Hohen Pforte berichtet, dass der Osmane Dayi Çerkes oder auch Dayi Circasso hieß und bei der ersten Belagerung Wiens dabei war. Kaum hatten die Minen Süleymans eine Bresche in die Mauern geschlagen, stürzte er zu Pferd mit dem Krummsäbel in der Hand in die Stadt. Wenn die anderen Türken ihm gefolgt wären, hätte es für die Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches keine Rettung mehr gegeben. Doch seine Kameraden waren nicht so mutig wie er und folgten ihm nicht. So blieb Dayi Çerkes allein und wurde von den Christen getötet. Kaiser Ferdinand I. aber ehrte den Mut des toten Helden: Er ließ ihn und sein Pferd mumifizieren und unter dem Mauerbogen eines Hauses aufstellen. Der davorliegende Platz wurde in Tscherkessenplatz umbenannt. Noch heute kann man dort Dayi Çerkes mit gezücktem Säbel auf seinem Pferd bewundern. Der Giaur aber, also der Christ, der den Türken mit der Arkebuse in den Rücken geschossen hatte, wurde auf Befehl des Kaisers lebendig in die Wand des gegenüberliegenden Hauses eingemauert, und eine Inschrift lautete: «Warum hast du einen Soldaten, der nur mit einem Krummsäbel bewaffnet war, hinterrücks erschossen? Du hättest ihm Aug in Auge mit Keule und Schwert entgegentreten sollen, statt ihn aus dem Hinterhalt zu erschießen». Dort starb der Giaur einen qualvollen Tod. Nach mehreren Jahren verfiel die Reitermumie und wurde durch die Statuette ersetzt.
    «Und was beweist das?», fragte Simonis.
    «Dayi Çerkes kam ganz allein zum Goldenen Apfel. Wegen seines Mutes wird er noch heute wie ein Heiliger verehrt. Wenn Wien moslemisch geworden wäre, wäre er der Schutzpatron der Stadt geworden», schloss der Böhme.
    «Deswegen hat der Aga also gesagt, er sei ganz allein zum Goldenen Apfel gekommen: Er wollte an den Heldenmut des Tscherkessen erinnern … Aber warum eigentlich?»,

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