Veritas
hatte, nur noch Simonis und Opalinski zurück. Es war nur allzu offensichtlich, dass ihr Tod miteinander in Verbindung stand und ich in irgendeiner Weise daran nicht unbeteiligt war. Dennoch wollte es partout nicht gelingen, ein schlagendes Motiv für die Gräueltaten zu finden. Die Nachforschungen über die Türken hatten in eine Sackgasse geführt. Der Derwisch Ciezeber hatte nichts zu verbergen, der Satz des Agas über den Goldenen Apfel idem , und höchstwahrscheinlich verbarg sich auch nichts in dem Papier, auf dem er geschrieben wurde. Also verlor auch Atto Melanis Anspielung auf die Tatsache, dass Hristo und Dragomir Untertanen der Osmanen waren, ihre Bedeutung. Es musste bei jedem dieser vier Toten einen ganz persönlichen Grund geben, warum sie aus dem Leben hatten scheiden müssen. Danilo und Hristo war wahrscheinlich ihr gefährliches Gewerbe, Dragomir die Armenierin zum Verhängnis geworden – und Koloman?
«Er ist um drei Uhr gestorben, das war die Zeit, zu der er immer bei einer Frau lag.»
«Stimmt», nickte ich, an die Uhrzeit denkend, welche die Sonnenuhr gezeigt hatte, «und am Fenster gegenüber standen die beiden schönen Töchter des Wirts. Glaubst du, er ist hinuntergefallen, als er versuchte, zu ihnen zu gelangen?»
«Koloman war, wie ich Euch schon sagte, ein wahrer Künstler im Erklimmen von Dächern und Fenstersimsen. Vielleicht hat er diesmal einen falschen Schritt getan. Allerdings …»
«Was?»
«Allerdings erscheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass ihm, bei den Ängsten, die er ausstand, Lust auf Frauen gekommen ist.»
Kurzum, bei Koloman Szupán ließ sich nicht einmal feststellen, ob er umgebracht worden war oder nicht. Obwohl ich selbst den Ort des Geschehens gründlich in Augenschein genommen hatte, die Lage der Leiche, die Bahn des fallenden Körpers, obwohl ich sogar jede Einzelheit in dem kleinen Kämmerchen, wo Szupán seine letzten Stunden verbracht hatte, untersucht hatte, war ich zu keiner anderen Schlussfolgerung als Simonis gekommen: Das einzig Gewisse war, dass der Ungar aus dem Fenster gestürzt war. Ob ihn jemand gestoßen hatte, wusste Gott allein.
Nur der untröstliche Opalinksi, der in seiner Verzweiflung bitter bereute, Kolomans Versteck verraten zu haben, schien genau zu wissen, dass sein Freund ermordet worden war. Und er beschuldigte Penicek.
«O nein, hier hat kein Augustinermönch gemordet! Ekelhafter Dämon aus Prag, ich reiß dir die Augen raus!», hatte er gebrüllt, als wir den Haimböck verlassen und die Kutsche des Böhmen bestiegen hatten.
Nur mit Mühe gelang es uns, den armen Hüftlahmen zu retten, denn Opalinski war ein Muskelpaket und drückte Penicek schon mit festem Griff die Kehle zu. Als wir ihm die Ereignisse schilderten, hatte Penicek nämlich sofort wieder mit der Geschichte von dem italienischen Mönch angefangen und dass Koloman ihm nicht hätte trauen sollen et coetera et coetera . Doch Opalinski hatte sich auf ihn gestürzt, ohne ihn noch aussprechen zu lassen, und mich und Simonis genötigt, ihn mit Gewalt daran zu hindern, den Böhmen zu erwürgen.
«Aber du hast einen Fehler gemacht, du unflätige Bestie! Du hast Koloman aus dem Fenster gestürzt! Darauf versteht ihr Prager euch ja!», schrie Jan, lockerte dann aber endlich seinen Griff.
Auf diese rätselhaften Worte Opalinskis erklärte Simonis mir rasch, dass das Töten durch Fenstersturz tatsächlich in Prag seit vielen Jahrhunderten grausamer Brauch war. Der erste hatte sich am 30. Juli 1419 ereignet, als eine Gruppe unzufriedener böhmischer Adeliger das Rathaus gestürmt und Bürgermeister und Stadträte aus dem Fenster geworfen hatte. Seither war die Liste immer länger geworden. Vor hundert Jahren hatte eine Abordnung Protestanten zwei katholische Botschaftsräte des Kaisers aus dem Fenster geworfen, welche jedoch auf Misthaufen landeten und mit dem Leben davonkamen. Eine berühmte Defenestration hatte schließlich den Dreißigjährigen Krieg ausgelöst.
«Als du in die Spezerei gefahren bist, wusstest du bereits, wo du Koloman finden würdest!», schluchzte Opalinski jetzt. «Du hast alles drangesetzt, aus mir herauszubekommen, wo er sich versteckt hatte. Und ich Idiot bin darauf reingefallen!»
Der Pennal war erst nach über einer Stunde zurückgekehrt. Opalinski zufolge hatte er genügend Zeit gehabt, zum Haimböck zu fahren, den ungarischen Studenten aus dem Fenster zu stoßen und zu uns ins Himmelpfortkloster zurückzukehren.
«Die Geschichte von dem Disput
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