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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Hand eines Italieners gestorben. Ja, ich konnte dem Mörder einen Namen geben, es war nur allzu eindeutig: Al . Ursinum , wie auf Ugonios Merkzettel geschrieben stand, oder auch Alessium Ursinum , der Kastrat Gaetano Orsini, der die Rolle des heiligen Alexius sang. Geh mit Gott, Ugonio, Adieu für immer, mein guter Freund; du hast das Geheimnis, das dich an Orsini band, mit ins Grab genommen. Und für immer dahin war auch der Satz des Erzengels Michael: Jetzt, wo Atto und ich endlich begriffen hatten, was die Worte des Agas bedeuteten, würde er uns nicht mehr viel nützen, obwohl ich gerne gewusst hätte, welche Botschaft der Erzengel mit dem Schwert in die Spitze des Stephansdoms geritzt hatte, auf jenen Sockel, der einst den gotteslästerlichen Apfel Süleymans des Prächtigen getragen hatte und gemäß der Prophezeiung noch immer darauf wartete, den wahren Goldenen Apfel zu tragen.
    Verstohlen beobachtete ich Simonis’ Gesicht, das vor Angst aschfahl war. Wieder war einer aus unseren Reihen gestorben und machte das Knäuel der Ereignisse noch unentwirrbarer. Im Geist die tausend Morde erwägend, welche jedes Jahr die Ewige Stadt besudeln, betrachtete ich das leblose Antlitz Ugonios und dachte wieder an sein sonderbares Schicksal. «Nachdem du dich in Rom Gefahren jeder Art ausgesetzt hast», überlegte ich im Stillen, «musstest du hier in Wien ein gewaltsames Ende nehmen.»
    «Der Oame!», bemerkte unterdessen ein altes Paar in der Nähe, «der hot des foische Gmias darwischt!»
    «Blede Geschicht. Oba wos wüsd mochn …», fiel ein anderer ein.
    Das falsche Kraut? Ich trotzte dem Gemurmel des umstehenden Publikums (überwiegend alte Menschen, die gerne ihre Nase überall hineinstecken) und trat zu dem Toten. Dann nahm ich die Ampulle mit der goldenen Flüssigkeit und hielt sie gegen das Licht.
    «Es scheint Öl zu sein», sagte Simonis, der mir gefolgt war.
    Ich zog den kleinen Korken von der Flasche, ließ einen Tropfen auf meine Daumenspitze fallen und kostete. Er hatte recht.
    Sogleich überprüften wir, ob sich in der anderen Ampulle, wie nunmehr zu vermuten stand, Essig befand. So war es. Das Körbchen war voll grüner, frischgepflückter Salatblätter.
    In diesem Moment wurde unsere Untersuchung von drei Mitgliedern der Stadtguardia unterbrochen, welche gekommen waren, um die Leiche in Augenschein zu nehmen. Unfreundlich rissen sie uns die Ampullen und den Salat aus den Händen, um sie genau zu untersuchen. Dabei schüttelten sie den Kopf, wie um einen Unglücksfall zu bestätigen, welcher hätte vermieden werden können.
    «Scho wieda ana, wos si teischt hot …», sagte der größte der drei Männer, während er die grünen Blätter aufmerksam betrachtete. «Maigleckerln san holt ka Bärlauch.»
    «Bärlauch?», fragte ich die Gendarmen.
    Die drei sahen sich an, dann brachen sie in unbändiges Gelächter aus, der Leiche nicht achtend, die zu ihren Füßen lag.
    «Heast, Italienischa, pass guad auf, sunst host a Gift stod an Solod!», antwortete mir einer von ihnen spöttisch.

    Jetzt war alles klar. Nachdem wir von den Gendarmen einige Erklärungen auf Wienerisch erhalten hatten (leider sprechen die Vertreter der städtischen Institutionen Wiens fast immer stark mundartlich), gab Simonis mir auf dem Rückweg zur Kalesche eingehend Aufschluss.
    Allium ursinum war der wissenschaftliche lateinische Name des Bärlauchs oder wilden Knoblauchs, eines Krautes mit langen Blättern und scharfem Geschmack, das den Boden des Wienerwalds in diesen Frühlingstagen alljährlich mit einem leuchtenden Smaragdgrün dicht bedeckte und die Luft mit seinem Knoblauchduft erfüllte. In Wien war es weithin Brauch, das wilde Kraut zu pflücken und im Salat oder mit anderen Speisen verkocht zu essen; eine Gepflogenheit, die in Rom seit langem verschwunden war. Ugonio schien das Kraut roh zu bevorzugen, darum hatte er sich ein wenig Ol und Essig mitgenommen. Das also sollte die Notiz «Al. Ursinum» auf Ugonios Merkzettel bedeuten: nicht den heiligen Alexius und Gaetano Orsini, sondern den wilden Knoblauch. Er hatte schlicht vorgehabt, frische Kräuter zu pflücken! Es war dieses die «dringstliche und delikatlichste» Angelegenheit, auf die der Heiligenfledderer mit seiner letzten Bemerkung angespielt hatte, etwas gänzlich anderes als ein Komplott mit Orsini! Der Zusatz zu Ugonios Anmerkung, also der Name «Die Zwei Gehenkten», bezeichnete den Ort, den der Heiligenfledderer als eine Stelle kannte, wo reichlich Bärlauch zu

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