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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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der Umgebung untergebracht, wo er sie mit Hilfe seiner Verwandten heimlich großzog. Als Maximilian starb, wurden die Tiere in das Schloss Neugebäu verlegt, welches nach dem Hinscheiden seines Schöpfers verwaiste und verwahrloste. Ihr Schicksal schien besiegelt: Als Opfer einer Unterschlagung waren sie dazu verdammt, allein in der Dunkelheit des Ortes Ohne Namen zugrunde zu gehen. Doch da die Barmherzigkeit von Mutter Natur keine Grenzen kennt, ist zwischen Tieren sogar die inzestuöse Liebe erlaubt und fruchtbar: Die beiden Elefantenkinder waren nämlich Bruder und Schwester, und so wurde schon beim ersten Aufkeimen jugendlicher Brunst ein hübscher Elefantenjunge geboren, eben jener, welcher noch heute im Neugebäu bewacht wird, ein gesundes, aufgewecktes Tier von ausnehmend ungestümem Wesen. Es sei zwar mittlerweile in die Jahre gekommen, habe seine Unbefangenheit aber bewahrt.
    «Das haben wir gemerkt!», wollte ich schon herausplatzen, an den entsetzlichen Lärm zurückdenkend, mit dem der Elefant in das Ballspielhaus eingebrochen war. Doch ich wusste den Mund zu halten.
    «Und die beiden Eltern? Sind die gestorben?», fragte Simonis.
    «Gfladert haums as im Dreißgjärign Kriag. Gfressen haums as. An Hunga haums hoid ghobt», antwortete der Bauer lakonisch.
    Atto, Simonis und ich zuckten zusammen. Pater Abraham a Sancta Clara hatte wahrlich recht: Bei dem Appetit der Wiener konnte sich kein Tier in dieser Stadt sicher fühlen.
    «Aa, Hiniche!», sagte der Bauer, «heid haums an gefundn in Woid omad.»
    «Ach ja? Und wo?», fragte ich.
    «Bei de zwa Aufgnepftn.»
    Vor Überraschung stockte mir der Atem. Der Bauer bemerkte es.
    «Wissn Euer Gnadn ned, wo des is? Glei bei Salmannsdorf.»

    Nachdem wir unseren Passagier an einer Kreuzung abgesetzt hatten, überlegten wir nicht zweimal. Wir hatten uns noch von ihm erklären lassen, was die Zwei Gehenkten waren: eine Lichtung im nördlichen Teil des Wienerwalds. Sie hieß so, erklärte er uns, weil man dort einmal die baumelnden Leichen zweier am Galgen gerichteter Männer gefunden hatte, wahrscheinlich Wegelagerer.
    Wir erreichten den Platz nach fast zwei Stunden Wegs, erst in der Kutsche und dann zu Fuß durch die Umgebung des reizenden Örtchens Salmannsdorf. Unser Ziel hatten wir erreicht, indem wir den Neugierigen folgten, die durch den Wald streiften. Zuvor freilich hatte ein Umweg die Fahrt erheblich verlängert: Wir hatten Atto, der zu müde war für jedwede weitere Unternehmung, ins Kloster an der Himmelpforte gebracht. Bei meiner Rückkehr würde ich ihm berichten, was Cloridia in Eugens Palais entdeckt hatte.

    Ugonios Körper lag bäuchlings auf dem vom Regen noch feuchten Gras. Sein Anblick war nicht viel schlimmer als gewöhnlich (und konnte es nicht sein). Die Kapuze bedeckte die spärlichen grauen Haare, die er noch auf dem Kopf hatte; im Gesicht sah man die immergleiche faltige Haut; aus dem schmierigen Umhang ragten der schwärzliche Hals und die krummen, fleckigen Hände hervor; unbezwinglich umhüllte ihn der vertraute Stallgeruch. Nur ein dünnes Rinnsal grünlichen Schleimes, das über sein Kinn lief, zeugte vom Geschehenen. Wären wir nicht in Kenntnis gesetzt worden, wir hätten glauben können, er schlafe.
    Unversehens brach der Himmel auf. Ein Sonnenstrahl drang durch die Baumkronen und fiel auf die Kiepe, die Ugonio mitgenommen hatte und die noch neben ihm lag. Aus dem Behältnis ragten einige Gegenstände heraus: zwei kleine gläserne Ampullen und ein Korb. Der Sonnenstrahl durchdrang die Ampullen und ließ die Flüssigkeit darin aufleuchten, eine golden, die andere von rubinroter Farbe.
    Simonis und ich bahnten uns einen Weg durch die Neugierigen, welche die Entdeckung des Toten unbefangen kommentierten. Nichts ist unterschiedlicher in Rom und Wien als das Verhältnis zwischen Lebenden und Toten. In Rom sind alle überzeugt, dass es Unglück bringt, vom Tod auch nur zu sprechen; in Wien hingegen ist der Große Befreier und alles, was ihn begleitet (Ursachen und Umstände des Ablebens, Bestattung, Erbschaft, Bankett), Gegenstand ungezwungener Konversationen. In Rom verspottet man die Wiener: Wie zum Teufel können sie fröhlich über Trauerfälle sprechen? Aber die Römer vergessen, dass der Tod in der Stadt der Päpste, vorzüglich der gewaltsame Tod, zwar weniger diskutiert, aber häufiger praktiziert wird.
    Ugonio hatte in Rom und Wien gelebt und nun italienische und österreichische Bräuche verbunden: Er war im Wienerwald von der

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