Veritas
finden war. Und wo er stattdessen den Tod gefunden hatte. Denn wie die Gendarmen erklärt hatten, glich der Bärlauch fast aufs Haar einer anderen Pflanze, dem Maiglöckchen, dessen Blätter ein rasch wirkendes, tödliches Gift enthalten. Auch erfahrenen Kräutersammlern war diese Verwechslung schon unterlaufen, und sie hatten sie mit dem Leben bezahlt, wie Ugonio. Ach, welch ein hinfälliges Geschöpf ist doch das Menschenwesen, dachte ich, wenn das Leben eines verwegenen, mit jedweder Mühe und Gefahr vertrauten Reliquienjägers von einem bescheidenen, wilden Pflänzchen dahingerafft werden kann!
Darum also hatte Gaetano Orsini, als Simonis und seine Gefährten ihn während des Überfalls nach den Zwei Gehängten gefragt hatten, erstaunt geantwortet, er gehe fast nie vor die Stadtmauern! Er kannte den Namen dieses Ortes und begriff nicht, warum man ihn danach fragte.
Alles war vergeblich gewesen. Auch der letzte dünne Faden, der uns mit der Lösung des Rätsels zu verbinden schien, hatte sich unter unseren Händen aufgelöst. Wenn Ugonio nichts mit Gaetano Orsini zu tun hatte, blieb unser Verdacht gegen die Musiker von Camilla de’ Rossi reine Vermutung, nein, pure Einbildung, da es ja keinen einzigen Anhaltspunkt gab. Ugonio hatte nichts weiter getan, als Ciezeber den falschen Kopf von Kara Mustafa zu liefern, war also nur seinem gewohnten Handel mit gefälschten Reliquien nachgegangen.
Für mich bedeutete der Tod des Heiligenfledderers einen weiteren, schmerzhaften Bruch. Vor achtundzwanzig Jahren war ich Ugonio in Rom begegnet, zur gleichen Zeit, als ich, ein unerfahrener Hausbursche in einer römischen Pension, Atto Melani kennengelernt hatte und durch ihn die große, verworrene Welt und das närrische Rad der Fortuna, das ihren Lauf bestimmt.
Schon damals hatte ich dem Tod ins Gesicht gesehen. Jetzt schloss Ugonios Verscheiden den Kreis, der in jenen fernen Tagen in Rom begonnen hatte. Der Eindruck der Vollendung (nicht der Vollkommenheit), mit dem die Ereignisse von Wien meine frühesten Erinnerungen auffrischten wie stumme Restauratoren, bereicherte sich jetzt um einen neuen Farbton. Eine traurige, grausame Nuance.
Wenigstens blieb mir der Trost, dass Ugonio keines gewaltsamen Todes gestorben war; im Gegenteil, er hatte sich sogar noch den Bauch vollgeschlagen. Ich warf einen letzten Blick auf seinen entseelten Körper. Solange er lebte, hatten die Schatten der Unterwelt und der Pesthauch der römischen Kloaken mardergleiche Züge in sein Gesicht gemeißelt. Im Tode wurde es nun barmherzig von der frischen Wiener Luft liebkost, und mütterlich legte sich die Aprilsonne, die zitternd durch das Blattwerk brach, auf sein Antlitz, als wolle sie mir den verborgenen göttlichen Funken offenbaren, der in jedem Menschen wohnt. Und so wirkte der Tod des alten, erschöpften Heiligenfledderers auf mich weniger wie ein Hinscheiden als wie eine Erhebung vom Menschlichen zum Übermenschlichen. So dachte ich im Weggehen, und nachdem ich mich bekreuzigt hatte, sprach ich ein kurzes Gebet für seine wunderliche Seele.
Auf dem Rückweg war ich bei der Kaiserlichen Kammer vorbeigefahren, um dort Meldung über die Flucht der wilden Tiere aus dem Ort Ohne Namen zu machen. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte der Angestellte die Anzeige aufgenommen.
Zurück in der Himmelpforte scheiterten alle Versuche, Atto Bericht zu erstatten: Er lag fast leblos in seinem Bett, so stark hatten ihn die Abenteuer des Tages mitgenommen. Domenico, der endlich wieder bei Kräften war, bat mich, ihn nicht zu wecken. Es sei besser, ihn bis zum nächsten Tage schlafen zu lassen.
« Heute werden wir uns an das vierte Gespräch begeben: Von dem Kauffen und dem Verkauffen» , begrüßte mich Ollendorf mit seinem üblichen teutonischen Lächeln, bei dem uns Italienern stets ein Schauder über den Rücken läuft.
In Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt, ließ ich die Deutschstunde über mich ergehen. Zum Glück nahmen der Knabe und Cloridia die Unterweisungen unseres tüchtigen Lehrers weit anstelliger auf.
« Was für Wahren wollen die Herren haben? Sie gehen herein in den Laden, und schawen, was Ihnen beliebet », rezitierte mein Weib eifrig.
Kurz darauf klopfte es an die Tür. Es war Simonis. Er hatte ein Billett von Opalinski in seiner Kammer gefunden. Jan wollte uns am nächsten Tag sprechen und nannte einen Treffpunkt um sieben Uhr morgens in einem Haus bei den südlichen Bastionen.
Noch lustloser als zuvor kehrte ich zur
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