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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Verbindung zwischen mir und den Verbrechen.
    Ich raufte mir die Haare. Durch eine traurige Posse des Schicksals hatte die Reihe der Untaten mit einer falschen Einschätzung Glàwaris begonnen: Er hatte nicht glauben wollen, dass die Nachforschungen über den Goldenen Apfel sich meinem eigenen, ehrlichen Interesse verdankten; vielmehr war er überzeugt, ich würde einen Auftrag ausführen. Penicek kam zum Ende:
    «Zuletzt war ich noch da. Glàwari hatte mich als Letzten ausersehen, weil niemand von Euch mich mag. Ihr verachtet mich alle, ich gehöre nicht zu Eurer Gemeinschaft. Ihr duldet mich nur, weil ich ein armer Pennal bin und Euch als Sklave diene. Ich war also viel nützlicher als möglicher Täter statt als Opfer. Hätte er mich kaltgemacht, hättet Ihr nicht sonderlich um mich getrauert. Aber Ihr hättet alle bereitwillig an meine Schuld geglaubt, sobald Glàwari anklagend auf mich gezeigt hätte.»
    Diese Worte lösten in mir jenes Bedauern aus, das ich mir allzu lange verhehlt hatte: Wie hatte ich mich doch täuschen lassen! Und wie falsch war es gewesen, niemals gegen die Grausamkeiten zu protestieren, mit denen der arme Pennal traktiert wurde!
    «Nachdem er mich dort oben in der Wohnung fertiggemacht hatte», schloss Penicek, «verging die Zeit, und Glàwari brannte der Boden unter den Füßen. Ihr kamt nicht, also fürchtete er, Ihr hättet Lunte gerochen, und hat sich aus dem Staub gemacht.»
    «Einen Augenblick, ich verstehe das noch nicht», hielt ich ihn zurück. «Glàwari kannte Simonis und die anderen schon seit ihrer gemeinsamen Studienzeit in Bologna, also schon lange vor meiner Ankunft in Wien. Ist das ein Zufall, oder hat er Simonis schon damals hinterherspioniert? Und wenn ja, warum?»
    Der Pennal antwortete nicht sofort. Er schien nur mühsam atmen zu können. Die Verletzung schmerzte ihn heftig. Dann sprach er:
    «Glàwari lebt in einer anderen Welt, einer Welt aus Einsamkeit, Lügen und schmutzigen Spielchen. Er ist ein Geheimagent. Er wird dazu eingesetzt, äußerst heikle Operationen zu decken. Mehr hat er mir nicht verraten. Er war schon vor vielen Jahren dafür ausgesucht worden, Simonis nachzuspionieren. Darum hat man ihn nach Bologna geschickt.»
    Simonis sagte nichts dazu. Die Pistole hielt er immer noch unter seinem Mantel gezückt.
    «Aber Simonis und die anderen sind wegen der Hungersnot schon vor zwei Jahren nach Wien gezogen!», wandte ich ein. «Ich aber bin erst seit wenigen Monaten hier. Wie ist es möglich, dass …»
    Hier blickte Penicek meinen Gehilfen mit aufgerissenen Augen an.
    «… ein Bettelstudent der Medizin und Rauchfangkehrergeselle einen Spion wie Glàwari so sehr zu interessieren vermag? Ganz einfach, weil auch er nicht das ist, was er zu sein scheint. Weil er nicht Simonis Rimanopoulos, sondern Symon Rymanovic heißt und ein Pole mit griechischer Mutter ist.»
    «Du?», rief ich aus und sah zu Simonis.
    «Aber Ihr dürft nicht glauben, er sei ein einfacher Spion», hielt Penicek mich zurück. Dann sagte er, immer heftiger nach Luft ringend, zu meinem Gesellen: «Ihr, Herr Schorist, seid in Wirklichkeit einer der tüchtigsten und treuesten Diener des Heiligen Römischen Reiches. Ein selbstloser Verteidiger der Sache Christi, nicht wahr?»
    Simonis wurde kreidebleich, aber er antwortete nicht. Langsam ließ er die Pistole sinken. Ich sah ihn wie gelähmt an. Es war, als hätten Peniceks Worte ihn und seine Waffe mit einem unsichtbaren Leichentuch umhüllt, das ihn wehrlos machte: das Leichentuch der Wahrheit.

    «Jetzt entschuldigt mich bitte, Herr Schorist», keuchte der Pennal schließlich, indem er sich erhob. «Ich ertrage die Schmerzen nicht länger, ich werde mich im Spital verarzten lassen. Meine Kräfte sind zu Ende, nimm mich, Herr, in deine Hände.»
    Seine Wunde reibend, näherte er sich mit seinem hüftlahmen Gang einer der Türen hinter uns, die in das Krankenhaus führten.
    Ich wollte ihm nachsehen und drehte mich um. In diesem Augenblick fiel mein Blick zufällig auf einen der Grabsteine:

    MEINE KRÄFTE SIND ZU ENDE,
    NIMM MICH, HERR, IN DEINE HÄNDE

    ANDREAS GLÀWARI 1615-1687

    Und gleich daneben auf dem Nachbarstein:

    AUS UNSEREM LEBEN BIST DU GEGANGEN,
    IN UNSEREM HERZEN BLEIBEST DU

    BELA TÖREK 1663-1707

    Und der nächste, ein noch größerer Hohn als die anderen:

    EIN HERZ STEHT STILL,
    WENN GOTT ES WILL.
    GEH MIT GOTT, GROSSMUTTER

    MARIZA 1623-1701

    Zu spät. Simonis und ich stürzten los, Penicek hinterher. Wir kamen gerade noch

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