Veritas
Derwisch und sein Geschäft mit abgeschnittenen Köpfen zu verraten. Er wollte sie nicht zu früh entmutigen, er brauchte sie noch. Denn in einem Punkt hat Penicek tatsächlich nicht gelogen: Auch Simonis ist ein Spion. Von wegen Idiot! Ich hatte es dir gesagt. Er hat sich verstellt. So ist es, wenn man ein Leben lebt, das nicht das eigene ist, sondern einem geheimen Herrn gehört.»
«Gütiger Himmel», jammerte ich, «werde ich denn niemandem je vertrauen können? Wer ist Simonis Rimanopoulos oder, besser, Symon Rymanovic?»
«Wer soll das schon sein?», entgegnete der Abbé brüsk, «vielleicht weiß er es nicht einmal selbst. Frag dich nur, wer er bis jetzt für dich war! Das Gleiche gilt, wenn du dir über mich Gedanken machst: Es zählt nur, wer ich für dich bin, der Rest ist Spekulation. Nur Gott der Herr kennt uns alle.»
Wenn von Spionen die Rede war, ließ Abbé Melani sich keine Gelegenheit entgehen, Wasser auf seine Mühlen zu gießen. Wie überaus gelegen wäre es ihm gekommen, wenn ich mich niemals gefragt hätte, wer er wirklich war!
«Ich werde mit ihm sprechen. Er schuldet mir eine Erklärung», kündigte ich an, ohne von meinem Vorhaben wirklich überzeugt zu sein.
«Lass es sein. Die Dinge sind schon kompliziert genug. In Fällen wie diesem, wo alles so verworren ist und schon hinter der nächsten Ecke der Tod lauert, musst du nur wissen, für wen der Mensch an deiner Seite arbeitet, ob für Gott oder den Mammon. Alles andere ist hinderlich. Und Simonis kannst du vertrauen.»
Jetzt, nach meiner Erzählung, hatte Atto seine Meinung über den Griechen geändert. Wie Tiere sich mit Hilfe des Geruchssinns erkennen, hatte der Spion Melani den Spion Simonis erkannt und für sich beschlossen, dass Simonis nicht sein Gegner war. Wie wir alle waren auch die beiden von Penicek getäuscht worden, und die großen Mächte, von denen Atto sprach, schienen die beiden Reiche, deren Untertanen Atto und Simonis waren, auf dieselbe Weise angegriffen zu haben: mit den mysteriösen Blattern Josephs in Wien und jenen des Grand Dauphins in Paris.
Nun spekulierten Atto und ich gemeinsam, was sich abgespielt haben könnte. Am Vorabend der Ankunft des Agas in Wien hatten die dunklen Mächte, die an der Verschwörung gegen den Kaiser teilnehmen sollten, höchste Alarmbereitschaft ausgerufen. Männer wie Simonis waren unter Aufsicht gestellt worden. Für den Griechen hatte man Penicek ausgesucht. Darum hatte der Pennal ihn zu seinem Schoristen erwählt! Peniceks Auftraggeber hatten ihn wahrscheinlich Simonis zugeteilt, weil beider Bildungswege verwandt waren: Auch Penicek war ein Student der Medizin und hatte in Italien, in Padua, studiert.
Manchmal hatte Penicek unsere Pläne nicht belauschen oder vorhersehen können, weil wir nicht immer in seiner Kalesche gefahren waren. Er hatte uns Tag für Tag kontrolliert, wenn er uns mit seiner sonderbaren Kutsche, die zu jeder Zeit und überall passieren durfte, an die unterschiedlichsten Orte brachte. Nachdem er Tod und Verderben unter uns gesät hatte, war es ihm in einer raffinierten Umkehrung gelungen, Opalinski, den er zuvor ermordet hatte, als das auszugeben, was er selbst war: ein blutrünstiger Spion.
In der Wohnung, in der er den armen Opalinski massakriert hatte, hatten wir ihn überraschen können.
Und dann seine Rekonstruktion der Ereignisse: Alles war wahr, doch statt Opalinskis Namen musste man einfach nur Peniceks einsetzen! Er war es gewesen, nicht Opalinski, der uns alle zu einer Verabredung in diese Wohnung gelockt hatte. Er hatte das von den Kaiserlichen Behörden requirierte Haus ausgesucht, damit wir glaubten, es sei Jan gewesen, der den Hinterhalt vorbereitet hatte. Doch wir waren über eine Stunde zu spät gekommen. Im Glauben, wir hätten Verdacht geschöpft, hatte er den armen Polen hingerichtet. Kaum war sein Meisterwerk der Grausamkeit vollbracht, hatte er wohl unsere Schritte die Treppen heraufkommen hören. Mein Gehilfe musste schon vorher etwas bemerkt haben, vielleicht die schwarze Kutsche. Darum hatte er plötzlich umkehren wollen. Weil wir dann über die anliegenden Häuser hereingekommen waren, hatten Peniceks Handlanger uns nicht gesehen.
Als der Böhme erkannte, dass seine Männer nicht mehr kommen würden, um ihm zu helfen, hatte er Janitzkis gemarterten Körper in dem Kabinett eingeschlossen, den Schlüssel weggeworfen und sich hingesetzt, um auf uns zu warten. Er saß in der Falle, doch kaltblütig spielte er, der Täter, nun das
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