Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
Vom Netzwerk:
wurde, was zweifellos die Absicht meines Gehilfen gewesen war, zog er sich einen ordentlichen Stich in den Hals zu, weshalb nicht auszuschließen war, dass er ziemlich prompt daran krepieren würde.
    In den nächsten Sekunden suchten zwei der Häscher hinter dem Derwisch Deckung, welcher erschrocken über einen Kampf, den er für unmöglich gehalten hatte, zurückgewichen war. Zuvor hatte einer der beiden jedoch Simonis mitten in die Brust geschossen. Derweil war Abbé Melani verschwunden, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Ich stand wenige Lidschläge lang einem der verletzten Wachmänner gegenüber, der unbewaffnet war wie ich: Es war jener, der mich im Prater hatte umbringen wollen. Dann floh ich, ohne dass mir jemand folgte.
    Im Laufen wandte ich mich um: Simonis, obgleich kurz zuvor direkt in die Brust getroffen, nahm die für uns bestimmten Ketten vom Boden, ließ sie rasend schnell kreisen und traf mehrmals einen oder zwei Häscher. Aber das waren flüchtige Bilder, denn schon schlüpfte ich durch den Ausgang des Kellers und lief auf den Hof des maior domus zu. Dann meinte ich, die Schritte meines Gehilfen hinter mir zu hören. Wer weiß, wie lang ihm noch zu leben blieb.

    Zwei der (falschen) Garden waren wahrscheinlich aus dem Spiel. Es blieben drei, nebst dem Derwisch.
    Als ich ins Freie kam, erblickte ich Atto, der zur linken Hofseite humpelte. Vielleicht hatte er die Ohnmacht nur vorgetäuscht, um sich im geeigneten Moment aus dem Staub zu machen, doch er war noch nicht weit gekommen und schien schon völlig entkräftet. Aus dem Inneren des Kellers hörten wir Schreie und dann wieder einen Schuss. Jemand hat eine Pistole laden können, dachte ich, entweder hatten sie Simonis erschossen, oder er hatte einen der fünf umgebracht und uns damit kostbare Zeit verschafft. Als wir keuchend den Haupthof erreichten, durch den wir hereingekommen waren, sahen wir das Tor (das immer offen gestanden hatte) gut verschlossen und verriegelt. Umkehren und die Flucht am anderen Ende des Schlosses zu versuchen bedeutete, dem Derwisch geradewegs in die Arme zu laufen.
    Die folgenden Momente besetzen in meinem Gedächtnis einen leeren, schwarzen Raum. Die Gewissheit, binnen weniger Augenblicke sterben zu müssen, und der kleine, aber glühende Krater aus Schmerzen, den ich in meinem Schenkel spürte, hinderten mich daran, meine Wahrnehmungen mit den Ereignissen in Übereinstimmung zu bringen. Kaum erinnere ich mich an Abbé Melani: Ich glaube, ich habe ihn abwechselnd geschoben und geschleift (etwas anderes kommt nicht in Frage, da seine Kräfte inzwischen völlig verbraucht waren), und so sind wir die Wendeltreppe hinuntergewankt, die zu den Tiergehegen führte, und dann weiter zum Fliegenden Schiff, immer darauf gefasst, dass uns früher oder später der nächste Schuss in den Rücken traf.
    Danach weiß ich nur noch, dass wir lange gewartet haben: Atto im Schiff, auf das ich ihn mühsam gehievt hatte, ich zusammengekauert zwischen den Brettern der Vogelkäfige. Sie waren am Vortage unter den Tritten des Elefanten zerbrochen und hinter dem Ballspielhaus liegengelassen worden.
    Der Abend brach herein. Ich weiß nicht, wie viele Stunden wir in unseren Verstecken verbrachten. Von Zeit zu Zeit hörten wir Pistolenschüsse – ein untrügliches Zeichen, dass Simonis und die Wachmänner in den Gärten des Neugebäus einander immer noch jagten. Es war ein Stellungskrieg: treffen, ohne das eigene Leben zu gefährden. Simonis konnte nicht fliehen, andererseits schienen unsere Feinde nicht über Verstärkung zu verfügen. Ich fragte mich, wie Simonis sich noch immer auf den Beinen halten konnte: Bevor ich aus dem Keller floh, hatte ihn ein Schuss mitten in die Brust getroffen, überdies aus kürzester Entfernung.
    Bei jeder neuen Detonation hörten wir die Löwen ein gereiztes Heulen in den schwarzen Himmel über der Simmeringer Haide schicken. Die Raubtiere des Ortes Ohne Namen waren also wieder an ihrem Platz, dachte ich. Die Kadaver mussten wohl in den letzten Stunden beseitigt worden sein. Die Schüsse machten mir keine Angst: Jeder neuer Schusswechsel sagte mir, dass Simonis noch lebte. Ein paarmal hörte ich die wütenden Schreie unserer Feinde. Man durfte annehmen, dass Simonis einen von ihnen getroffen hatte.
    Atto und ich flüsterten uns von Zeit zu Zeit etwas zu, nur um uns der Gegenwart des anderen zu vergewissern. Wir steckten in der Falle: unbewaffnet und außerstande, uns auf einen Zweikampf einzulassen (ich ob meiner

Weitere Kostenlose Bücher