Veritas
getaucht. Es stimmte traurig zu wissen, dass nicht einmal mehr der grobe Frosch mit seiner Flasche und dem alten Mustafa zugegen waren.
«Und die Löwen? Habt Ihr sie alle eingefangen?», fragte ich, um das Schweigen zu brechen.
«Los, weitergehen!», winkte einer, der die Befehle zu geben schien, und forderte auch Abbé Melani auf mitzukommen.
«Eigentlich habe ich nichts mit dem gestrigen Durcheinander zu tun, er ist es, der alles zu Protokoll geben muss», protestierte Atto, «könnte ich nicht hier draußen warten?»
Die Garden waren unerbittlich. Wir wurden in das Innere des Schlosses und dort in das Kellergeschoss geführt. Einer der Männer, die uns begleiteten, kam mir irgendwie bekannt vor. Wir machten in der westlichen Galerie halt, dort, wo wir am Vortage die Schritte von Bübchen, dem im Neugebäu versteckten Elefanten, gehört hatten.
Ein Mensch, der wie eine Amtsperson gekleidet war und den ich für einen Gerichtsnotar hielt, ergriff das Wort. Er begann, ein Dokument in deutscher Sprache vorzulesen, von dem ich fast nichts verstand. Ich wandte mich mit fragendem Blick an Simonis, indes der Notar weiterlas.
«Auch ich verstehe nichts», flüsterte mir Simonis mit nachdenklicher Miene zu.
Der Notar hielt inne, und plötzlich änderte sich die Situation. Der Gendarm (wenn es einer war), der mir bekannt vorkam, zog Ketten hervor, und an dem Tonfall, in dem der Notar uns nun anschrie, erkannte ich, dass sie für unsere Handgelenke bestimmt waren. Wir waren verhaftet. Doch die Operation wurde durch eine weitere Überraschung unterbrochen.
Denn in diesem Augenblick geschah etwas so Irrwitziges, dass es dem Traum eines Betrunkenen entsprungen schien. Ciezeber trat ein und grüßte uns höflich auf Italienisch.
«Der Derwisch!», flüsterte ich Simonis leise zu, starr vor Staunen.
Ciezeber lächelte freundlich. Einige Augenblicke lang entstand eine unwirkliche Stille im Kellergewölbe des Schlosses.
«Was geschieht hier?», fragte ich.
«Vielleicht habt Ihr schon verstanden, was Euch der Notar vorgelesen hat. Ein Dekret der Kaiserlichen Kammer. Ihr seid verhaftet wegen Verschwörung gegen das Reich und weil Ihr einen Anschlag auf den Gesandten der Hohen Osmanischen Pforte, Cefulah Aga Capichi Pascha, geplant habt.»
«Verschwörung? Das ist natürlich ein Irrtum», protestierte Atto, «ich komme aus Italien und …»
«Schweigt, Abbé Melani», unterbrach ihn der Derwisch, «wir wissen bereits, wie Ihr Euch in Wien eingeschlichen habt. Und hört auf, den Blinden zu spielen!»
Attos Tarnung war aufgeflogen. Der Derwisch und die wunderliche Truppe, die ihn umgab, Garden oder nicht, wussten, dass Atto Melani nicht der Kaiserliche Postmeister Milani war. Da begriff ich.
Alles hatte sich zu rasch abgespielt, als dass wir uns rechtzeitig hätten retten können. Noch vor wenigen Minuten war Atto ein Licht aufgegangen, doch da waren wir bereits im Neugebäu angekommen.
Eines hatte uns Penicek auf dem Friedhof verschwiegen: Er hatte uns nicht gesagt, wer unser Anführer war, da er ja glaubte, wir hätten einen. Er wollte uns töten, ein Zeichen dafür, dass er erfahren hatte, wer der große Fisch war, von dem Simonis und ich seiner Meinung nach unsere Befehle erhielten. Er war also überzeugt, endlich herausbekommen zu haben, wer das war. Und wen sonst hätte er verdächtigen können als Atto Melani? Er glaubte tatsächlich, Atto sei das Haupt einer Verschwörung und Simonis und ich unterstünden seinen Befehlen.
Er hatte den Abbé in seiner Kutsche kennengelernt. Ermittlungen über ihn anzustellen und herauszufinden, wer dieser Milani wirklich war, war ein Kinderspiel für ihn gewesen. Hätte er erfahren, dass alles mit meinen Skrupeln und denen meiner Gemahlin begonnen hatte und dass es nicht Melani gewesen war, der mich mit Nachforschungen über den Satz des Agas beauftragt hatte (im Gegenteil, Atto war ausschließlich mit seinem gefälschten Brief und der Verfolgung der Pálffy beschäftigt gewesen), er hätte uns niemals geglaubt!
Es war dies der typische Fehler aller zweitrangigen Spione: Sie meinen, ihre Bösartigkeit müsse sich auf die ganze Menschheit anwenden lassen, aber Entscheidungen, die aus freiem Antrieb getroffen werden und sich nur dem Gerechtigkeitssinn oder dem Wissensdurst verdanken, die verstehen sie nicht. Kurz, sie dulden im Mitmenschen jene reinen Gefühle nicht, welche sie aus ihrem eigenen Herzen verbannt haben. Wie die gute Ordensfrau aus Umbrien, die mich aufzog, zu sagen
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