Veritas
hätte man nicht eigens einen so großzügigen Platz dafür hergerichtet.
Es war dieser Frosch ein Berserker mit einem birnenförmigen, breiten Gesicht, grau bis zur Nase und tiefrot von den Wangenknochen abwärts, einem graubraunen Schnurrbart und hellen Augen. Sein Bauch war dick und seine Hände so grob wie Schaufeln. Er war nicht gerade freundlich, dachte ich, aber auch nicht bösartig; ein Mann, den man mit Vorsicht genießen musste, wie seine Bestien. Tiere sind launisch von Natur aus, der Mensch wird es durch den Hang zum Alkohol. Frosch war zwar imstande, Löwen zu bändigen, aber nicht seinen Durst.
Während unseres Gesprächs hatte ich Mustafa unentwegt im Auge behalten, konnte ich doch nicht begreifen, dass diesem Raubtier, wie gebrechlich auch immer, gestattet war, sich außerhalb des Käfigs zu bewegen. Genüsslich hatte er das Fleisch zerrissen und mit seinen fürchterlichen Hauern und Krallen bearbeitet. Erst dem aufmerksamen Blick offenbarte sich sein Alter und jener Mangel an Lebenskraft, die, wäre sie noch vorhanden gewesen, vor wenigen Minuten mein Ende bedeutet hätte.
Den Löwen an der Kette hinter sich herziehend, führte der Wächter mich aus dem Ballhaus. Bevor ich an die Arbeit ginge, so teilte er mir mit, sei es vielleicht ratsam, dass er mir die Örtlichkeit und die anderen Tiere zeige. Er schlug mir vor, sogleich einen kleinen Rundgang mit ihm zu unternehmen, damit ich am nächsten Tag keine weiteren, bösen Überraschungen erlebte. Ich willigte ein, wenngleich mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust.
«Do kummt nia kana ned her zum Nocheschaun», bemerkte der Wächter mit untröstlicher Miene.
Leider komme nur selten ein kaiserlicher Kommissär herbei, um die Sammlung exotischer Tiere im Ort Ohne Namen zu besuchen. Bei Hofe, erklärte Frosch betrübt, hatten alle diesen einst so prächtigen Ort vergessen, wenigstens bis zur Ankunft des geliebten Joseph I. Jetzt aber trafen das Geld, mit dem das Fressen für Mustafa und seine Gefährten bezahlt wurde, sowie das Salär ihres Beschützers weit regelmäßiger ein, und das hatte ihn zunächst für die Zukunft des Neugebäus hoffen lassen. Noch mehr Hoffnung hatte er geschöpft, als der Kaiser vor drei Jahren – es war am 18. März 1708, ein Sonntagnachmittag, Frosch erinnerte sich gut – seine Schwägerin, die Prinzessin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel, mit einem großen Gefolge aus Damen und Kavalieren des Hofes hierhergeführt hatte. Da sein Bruder Karl in Barcelona weilte, um seine Ansprüche auf den spanischen Thron geltend zu machen, hatte Joseph ihn in Wien bei der Ferntrauung zwischen Karl und der deutschen Prinzessin vertreten. Kurz bevor sie dann nach Spanien zu ihrem Gemahl reiste, hatte Joseph seiner Schwägerin die Ehre erweisen wollen, ihr die im Neugebäu eingeschlossenen wilden Tiere, insbesondere aber die kürzlich dortselbst eingetroffenen zwei Leuen und das Panther-Tier, persönlich zu zeigen. Es war dies ein memorables Ereignis im verlassenen Dasein des armen Tierwärters gewesen, welcher Ihro Kaiserliche Majestät mit eigenen Augen durch die Alleen des Gartens hatte wandeln sehen und mit eigenen Ohren hören konnte, wie Joseph mit der Fröhlichkeit der Jugend ankündigte, dass dieser Ort alsbald zu neuem Leben erwachen werde. Dann aber war wieder viel Zeit vergangen; vor sechs Jahren schon hatte Joseph I. den Thron bestiegen, und das Schloss befand sich immer noch in einem beklagenswerten Zustand.
«Do kaunst nix mochn», grunzte Frosch bekümmert.
Diese Zeiten seien vorbei, versicherte ich ihm: Jetzt wolle Kaiser Joseph alles wieder in Ordnung bringen; ich selbst sei ja gerufen worden, um die Rauchfänge und die Kamine zu inspizieren. Und bald würden auch die Restaurierungsarbeiten beginnen.
In Froschs Augen leuchtete etwas wie Freude auf; einen Augenblick später starrte er mich jedoch mit leerem Blick an.
«Na, hoffmas», schloss er trübe.
Ohne noch etwas hinzuzufügen, ließ er den letzten Rest seiner Flasche auf dem Boden auströpfeln und stellte missvergnügt fest, dass sie leer war. Er brummelte, dass er zu einem Herrn mit Namen Slibowitz oder so ähnlich zurückkehren müsse, um sie auffüllen zu lassen.
So ist das pessimistische Naturell der Wiener: Seit Jahrhunderten derselben kaiserlichen Herrschaft unterworfen, sind sie stets misstrauisch gegenüber guten Nachrichten, auch wenn sie gerade diese ersehnen. Lieber verzichten sie darauf zu hoffen und fügen sich mit
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