Veritas
besiegten, der leblose Körper des Kaisers seinen Einzug hielt. Er war gesäumt von zwei Dutzend weißer Fackeln, die von Edelknaben gehalten wurden und an denen der Wind wütend zerrte. Ihn erwartete die vollständig versammelte Stadtguardia, die Fahnen umgekehrt zu Boden gesenkt, während sich aus dem dunklen Bauch der Trommeln das quälende Dröhnen des Todes in alle Richtungen verbreitete.
Während auch Atto und ich den Verstorbenen erwarteten, wurden wir von der gewaltigen Menge fast erdrückt. Mit Mühe gelang es mir, den Trauerzug zu erspähen: Gleich hinter dem Sarg schritt die Königinmutter, ungerührt und undurchdringlich, umringt von drei Kammerherren, im Schein der Lichter, die sieben Edelknaben hielten. Denn Ihre Majestät Eleonora Magdalene Theresa war soeben zur Regentin ernannt worden. Wie ich später erfuhr, war es Abbé Melani mit Hilfe von Camilla und Vinzenz Rossi gelungen, ihr den gefälschten Brief des Prinzen Eugen zu übermitteln, damit die Kriegslust des Savoyers gebremst und er gehindert würde, auch unter dem zukünftigen Kaiser Karl mächtig zu werden. Atto wusste nur allzu gut, dass Eugen den Krieg gegen Frankreich auch ohne die Verbündeten England und Holland fortgeführt hätte. Wer weiß, ob dieser Brief sich endlich doch als nützlich herausstellen würde.
Hinter der Königinmutter gingen die Schwestern und die älteste Tochter Josephs, auch sie geleitet von einer großen Menge Fackeln, an deren Flammen ein zorniger Wind zerrte.
Die Hofmusizi stimmten das Libera me Domine an, und Joseph wurde zu seiner letzten Ruhestatt gebracht: der Kapuzinergruft. Noch in diesem Jahr hatte der Kaiser sie ahnungsvoll erweitern lassen, indem er die Anzahl ihrer Räume fast verdoppelte. Jetzt nahm sie ihn in dem großen Sarkophag auf, der in der Mitte stand. Sein goldener Schlüssel würde für immer in der Kaiserlichen Schatzkammer aufbewahrt werden, wo sich auch alle anderen Grabschlüssel der österreichischen Habsburger befanden. So endeten die dreiunddreißig Jahre des irdischen Daseins Ihro Kaiserlicher Majestät Joseph des Sieghaften, des ersten seines Namens.
Käyserliche Haupt-
und Residenz-Stadt Wienn
DEZEMBER 1720
Nach dem Tod Abbé Melanis habe ich Paris verlassen, und Domenico tat ein Gleiches.
Der Spanische Erbfolgekrieg ist beendet. Dreizehn lange Jahre der Hungersnot, der Verheerung und des Todes hat er hinterlassen. 1713 ist der Friedensvertrag von Utrecht unterzeichnet worden, im Jahre 1714 der Friedensschluss zu Rastatt und jener von Baden.
Alles ist so gekommen wie von Atto vorhergesehen: Die üppigste Beute haben die englischen Händler gemacht. Sie haben dem spanischen Königreich Gibraltar sowie das Monopol auf den Sklavenhandel abgetrotzt und von Frankreich die nordamerikanischen Kolonien erhalten.
Doch nicht nur jene, die die neuen Zeiten ersannen, auch jene, die ihren Anbruch unterstützten, haben eine Belohnung erhalten.
Kaiser Karl VI., dem Bruder und Nachfolger Josephs, wurden die spanischen Niederlande, Mailand, Mantua, Neapel und Sardinien geschenkt. Am 11. September 1714 sind die französisch-spanischen Truppen Philipps von Anjou, des jetzigen Königs Philipp V. von Bourbone, in Barcelona eingedrungen und haben die Unabhängigkeit der Stadt, die Karl im Stich ließ, um sich auf den ersehnten Kaiserthron zu setzen, im Blut ertränkt.
Die Savoyer sind von den kleinen opportunistischen Herzögen, als die Atto sie mir beschrieb, in den Rang von Königen aufgestiegen, und ihnen wurde Sizilien übergeben – alles ein Verdienst Eugens. Damit ist die italienische Halbinsel jetzt vom Zangengriff der Savoyarden umschlossen: im Norden vom Piemont, im Süden von Sizilien. Eine ausgezeichnete Voraussetzung für das nächste Projekt der Freunde des Derwischs: dass Italien eines Tages einen König bekommt.
1713 ist Landau erneut belagert worden. Dieses Mal jedoch von den Franzosen, denn seit dem Jahr 1704, als Joseph es zum zweiten Mal zurückerobert hatte, war Landau immer im Besitz des Reiches. Wieder musste der Kommandeur der Garnison, Fürst Karl Alexander von Württemberg, aus seinem goldenen und silbernen Essgeschirr Münzen prägen lassen. Ein Schicksal, das sich nun umgekehrt wiederholt, denn dieses Mal haben die Franzosen gewonnen. Schuld ist Prinz Eugen: Hätte er den Krieg nicht bis zum letzten Moment weitergeführt, hätte das Reich Landau behalten.
Attos Prognose über Eugen hat sich bewahrheitet: Karl VI. lässt ihm völlig freie Hand und wird das auch
Weitere Kostenlose Bücher