Veritas
Leben dahin. Und wieder entdecke ich einen Verweis auf die Vergangenheit, wieder schließt sich ein Kreis: Das secretum pestis , das Wien vor dreißig Jahren vor der Pest rettete, deren Keim die türkischen Belagerer absichtlich in der Stadt verbreitet hatten, hat diesmal nichts gegen Gottes Strafe vermocht.
Ich habe von dem bösen Ende der Gräfin Marianna Pálffy erfahren, Josephs junger Geliebter, zu der Melani vergeblich Kontakt aufzunehmen versuchte. Kaum war Joseph verschieden, sind die Königinmutter, die Minister und der ganze Hof über sie hergefallen und haben sie gezwungen, die Geschenke ihres verstorbenen Verehrers zurückzugeben. In Ungnade gefallen und vom Hof verbannt, ist sie zur Ehe mit einem Mann von niedrigstem Stand genötigt worden, was ihren Vater, den armen Grafen Johann Pálffy ab Erdöd, einen der treuesten und tapfersten Kommandanten der Kaiserlichen Familie, in tiefe Verzweiflung gestürzt hat.
Seit dem Tag, an dem Joseph I. starb, ist die Sonne nicht mehr blutrot aufgegangen. Es war wirklich ein Vorzeichen, und es ist in der Stadt so berühmt geworden, dass man noch heute davon spricht. Nachdem der Almanach des Englischen Wahrsagers mit seiner Prophezeiung des Todes Josephs I. ins Schwarze getroffen hat, wird er den Verkäufern in ganz Wien aus den Händen gerissen. Für die Engländer sind wahrhaftig goldene Zeiten angebrochen.
Die Italiener dagegen, die vom Hause Habsburg bis hin zu Joseph I. immer so sehr geliebt wurden, sind nicht mehr wohlgelitten. Nun kommen die Franzosen an, herbeigerufen ausgerechnet von dem, der in Spanien ihr erbitterter Feind war: Karl VI. Auch das von Joseph so gepflegte Italienisch wird nach und nach vom Französischen als Hofsprache verdrängt. Kaum in Wien angekommen, hat Karl das gesamte Palastpersonal, das einst seinem verstorbenen Bruder diente, entlassen. Die Ersten, die gehen mussten, waren Josephs liebste Hofmusizi. An ihrer statt hat er andere eingestellt, darunter sehr wenige Italiener. Natürlich waren auch Camillas Dienste nicht mehr erwünscht, und keines ihrer Oratorien ist je wieder aufgeführt worden.
Cloridias Schwester wurde von ihren Erinnerungen so niedergedrückt, dass sie bat, das Kloster wechseln zu dürfen. Ihrer Bitte wurde entsprochen. Jetzt versucht sie, in St. Lorenz Frieden zu finden. Oft kommen die guten Musizi dorthin, um sie zu besuchen, aber sie will niemanden sehen außer meiner Frau.
Trotz alledem ist Wien, die Hauptstadt und Residenz der Kaiser, immer noch der beste Ort, wo man in diesen Zeiten leben kann. In keiner anderen Stadt geht es einem so gut, wenn man abgeschieden von der Welt leben möchte.
Ich wohne endlich in dem Haus mit Weinberg, das der Abbé mir einst in der Josephina vermachte und das in den Herzen meiner Lieben so viele Träume und Hoffnungen nährte.
Auch unsere Mägdlein sind jetzt in Wien; als examinierte und approbierte Wehemütter haben sie die Hebammenlizenz erhalten und sind beide auch selbst Mütter. Cloridia betreibt einen Heurigen, bei dem ihr unser Junge und die beiden Schwiegersöhne zur Hand gehen. Es sind frische, aufgeweckte Römer, die nur allzu glücklich sind, die Hauptstadt des Wuchers verlassen zu haben, um ein Leben zu führen, das diesen Namen verdient. Es braucht starke Arme, den Weinberg zu bestellen, und auch für meinen Sohn ist es gesünder, in der Sonne zu arbeiten, als Ruß einzuatmen. Außerdem sitzt man im Winter besser im warmen Haus, als auf den Dächern zu frieren. Zwar werden Rauchfangkehrer in Wien gut bezahlt, doch Gesundheit hat keinen Preis. Mein Privilegium als Hofbefreiter Rauchfangkehrer nutze ich ohnehin nicht mehr. Ich habe alle Papiere aufbewahrt, ich könnte sogar zur Kaiserlichen Kammer gehen und dasselbe Privilegium für meinen Sohn fordern. Doch die Erinnerung an unsere Verhaftung im Ort Ohne Namen hält mich zurück. Natürlich glaube ich nicht, dass es noch Spuren jener Ereignisse gibt – solche Operationen hinterlassen in keinem Dokument Spuren. Doch man tut gut daran, vorsichtig zu sein, es könnte noch Menschen geben, die Bescheid wissen. Ohnedies wird niemand mehr gebraucht, der die Kamine des Neugebäus reinigt, denn der neue Kaiser will es nicht mehr restaurieren.
Ich gebe zu, mit der Erziehung, die er in Abbé Melanis Haus erhielt, könnte mein Sohn nach Höherem streben, sich weiterbilden, Wissen und Weisheit erlangen. Doch Wissen bedeutet Leiden. Und, wie Abbé Melani sagte, der Boden gibt zu essen und macht frei. Die beste Wahl bleibt
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