Veritas
Wien 11. April 1711):
« Endlich ist der an mich abgeordnete , türkische Aga den 7. dieses Nachmittags ankommen , welchem ich den 9. seine Audienz ertheilt undE . königl . M . copiam des an mich überreichten Schreibens hiermit anlege .»
Und das Original des Schreibens? Der Leser erwartet natürlich, es als Anlage zu Eugens Brief zu finden. Leser, die die Anhänge mit historischen Dokumenten zu Imprimatur und Secretum kennen, ahnen jedoch bereits: Das Schreiben des Agas fehlt in den Akten. Gewisse Operationen werden immer auf die gleiche Weise durchgeführt, ob es nun darum geht, die Übeltaten eines Papstes zu decken, das Testament eines Königs zu falschen oder Beweise für die Verschwörung gegen einen Kaiser verschwinden zu lassen.
Was stand in diesem Schreiben des Agas, und warum schickte Eugen es an Karl? Eigentlich hätte er Joseph I. davon informieren müssen, es sei denn, es beinhaltete etwas, was Joseph nicht erfahren durfte, worüber Karl hingegen unterrichtet war …
Die Intrige Atto Melanis. Geschickt hatte Abbé Melani den Hinterhalt mit dem gefälschten Brief Eugens von Savoyen eingefädelt. Und er war seinem Ziel schon recht nahe gekommen. Tatsächlich wurde, wie Atto selbst erzählt, ein apokrypher Brief, der Eugen den Plan unterschob, Österreich zu verraten, dem spanischen König Philipp V. überbracht und von diesem an Ludwig XIV. und seinen Minister Torcy weitergeleitet. Der Minister verhinderte dann die Verbreitung des Briefes, was Atto gegenüber dem Schornsteinfeger beklagt. Erst im Mai 1711 (also einen Monat nach den Ereignissen, von denen der Schornsteinfeger erzählt) erfuhr Eugen, soeben in Tournai in Flandern angekommen, von dem Brief, doch es gelang ihm, seine Unschuld zu beweisen. Nachlesen kann man die ganze Geschichte in Eugens Korrespondenz, die sich im Wiener Staatsarchiv befindet. Auch in den Akten über die Feldzüge Eugens wird sie wiedergegeben, und zwar in einem Schreiben, in dem Graf Bergeyck Eugen mitteilt, er habe von Philipp V. den Auftrag erhalten, ihn zu fragen, ob jener verräterische Brief echt sei. Falls ja, möge er mit Eugen verhandeln (Staatsarchiv, Kriegsakten 262, 22.3.1711; Kriegsakten 263, 3. 5.1711); in Eugens empörter Antwort (Staatsarchiv, Große Korrespondenz 93 a, 18. 5.1711); in seinen Briefen an die Königsmutter und Regentin Eleonore Magdalene Theresa sowie an Karl (Feldzüge des Prinzen Eugens XIII, Suppl., S. 32-33,13. und 17. 5.1711), außerdem in einem Brief an Sinzendorf (Staatsarchiv, Große Korrespondenz 73 a, 18. 5.1711). In all diesen Briefen gibt Eugen seiner Bestürzung Ausdruck und legt eine Kopie von Bergeycks Schreiben bei. In ihren Antworten bescheinigen ihm die Regentin, Karl und Sinzendorf, dass er mit der Sache nichts zu tun habe (Staatsarchiv, Große Korrespondenz 90 b, 3. 6.1711; 31. 7.1711; Große Korrespondenz 145, 21. 5.1711).
Attos Analyse der Beziehungen zwischen Eugen, Joseph und Karl spiegelt die historische Realität verblüffend genau wider. Es ist zum Beispiel wahr, dass Eugen, wie Atto behauptet, an Karls Hof mehr Einfluss gewinnen konnte als unter der Regierung des unglücklichen Joseph. Tatsächlich gelang es Eugen, Karl davon zu überzeugen, den Spanischen Erbfolgekrieg alleine fortzusetzen, während die Verbündeten bereits Frieden mit Frankreich geschlossen haben. Später wird Eugen, der immer noch nicht genug vom Krieg hat, sich an die Front der Kämpfe gegen die Türken begeben.
Doch vor allem für den Neid Eugens auf Joseph, von dem Atto Melani erzählt, gibt es zahlreiche Beweise. Es ist eine historische Tatsache, dass Eugen 1702 von der Schlacht um Landau ausgeschlossen wurde, um das Feld für Joseph zu räumen, wie Onno Klopp berichtet (Der Fall des Hauses Stuart , Bd. 11, Wien 1885, S. 196). Es trifft außerdem zu, dass Joseph Eugen nicht gestattete, in Spanien gegen die Franzosen zu kämpfen, obwohl Eugen begründete Hoffnungen hegte, dort Großtaten vollbringen zu können (vgl. Klopp, Fall , a.a.O., Bd. XXIV, S. izff.).
Auch Atto Melanis Betrachtungen über die Persönlichkeit Eugens von Savoyen stimmen mit den historischen Quellen überein. Man darf sich allerdings nicht darüber wundern, dass die offizielle Geschichtsschreibung den dunklen Seiten des großen Heerführers so wenig Raum widmet. In der Flut der Bücher und Aufsätze (bisher wurden über 1800 gezählt), die Eugen in den letzten drei Jahrhunderten feierten, gibt es nicht den kleinsten Hinweis auf das Privatleben des berühmten
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