Veritas
köstlich amüsiert hatte.
Während unserer Fahrt brach der Tag an. Nachdem wir eine große Kirche hinter uns gelassen hatten, erspähten wir endlich in der Ferne ein helles Gebäude von so schneeweißer Farbe, dass uns der Anblick in der Sonne blendete.
Als meine Augen sich an das Funkeln gewöhnt hatten, erblickte ich zunächst einen sehr langen Mauerring, mit Zinnen gekrönt und durchsetzt von Türmchen mit Dächern in Gestalt von Fialen. Sie hätten wie militärische Bauwerke, Wehrtürme oder dergleichen erscheinen können, wären sie nicht so klein und anmutig gewesen, zudem ungewöhnlich reich an Verzierungen, die einen unbestimmten orientalischen Einfluss verrieten. Im Hintergrund lagen, noch nicht genau zu erkennen, weitere, in die Höhe strebende Bauwerke. Je näher wir dem Mauerring kamen, desto deutlicher sah ich, dass er von rechteckiger Form und wahrhaft zyklopischen Ausmaßen war. An der Längsseite, die zur Straße nach Wien lag, auf der wir soeben gefahren waren, ließen die Mauern Raum für ein mächtiges, von einem dreifachen Wachtturm überragtes Eingangstor. Wir hielten an und stiegen ab.
Dann schritten wir durch das Tor und befanden uns sogleich wieder im Freien. Der Kleine, der am gestrigen Abend bei den Erzählungen vom Löwen und vom Fliegenden Schiffe in große Begeisterung geraten war, fragte unaufhörlich, wo jene Wunderdinge sich befänden, und drang darauf, sie augenblicklich anzuschauen. Simonis folgte uns mit zerstreuter Miene.
Ich war überrascht, mich nun in einer ausgedehnten Grünanlage zu sehen, die mit Bäumen und Büschen gespickt war und einen weiteren Mauerring enthielt, ebenfalls mit Türmen versehen, jedoch nur an den vier Ecken. Diese Türme waren sehr viel größer als jene des äußeren Ringes, mindestens doppelt so hoch, gleich einem Campanile, aber nicht rund, sondern sechseckig. Als Dach diente eine große Kuppel, die auf einem Tambour mit Fenstern ruhte. Darüber erhob sich eine sechseckige Fiale, die in einer großen, ebenfalls sechsseitigen Metallspitze endete. Rings um die Kuppel ragten, in Übereinstimmung mit jeder Seitenkante des Turmes, weitere sechs schlanke Türmchen auf, von der gleichen Art wie jenes auf der Spitze. Auf jeder der Seiten befanden sich zwei Reihen mit Fenstern über zwei Geschosse, was vermuten ließ, dass die Türme im Innern in Wohnräume unterteilt waren.
Die fremdländischen Formen der Fialen, ihrer Spitzen und der Kuppel gemahnten mich an die zierlichen Minarette und Dächer von Konstantinopel, wie ich sie in den Büchern gesehen, die mein seliger Schwiegervater mir hinterlassen hatte. Nun kam mir wieder in den Sinn, dass ich am Nachmittag zuvor gleich bei meiner Ankunft am Ort Ohne Namen die Spitze eines dieser Türme hatte sehen können und daselbst schon überrascht war; doch niemals hätte ich vermutet, dass sich hinter der Zinnenmauer, welche die Gärten umgab, eine solche Herrlichkeit befand.
Warum nur, begann ich zu grübeln, war dieser Ort verlassen worden? Unser geliebter Kaiser Joseph I. gedachte nun, ihm seinen ursprünglichen Glanz zurückzugeben, gewiss, aber warum um alles in der Welt hatten seine Vorgänger diese Stätte so schändlich vernachlässigt?
Schon wollte ich Simonis an meinen Fragen teilhaben lassen, als es mir plötzlich falsch erschien, das so rare Schweigen meines geschwätzigen Gehilfen zu stören.
Eine kleine, von einer zweifachen Baumreihe gesäumte Allee führte vom Eingangsportal in das innere Viereck. Kaum hatte ich es betreten, verharrte ich offenen Mundes vor Staunen.
Bewacht von den großen, türkisch anmutenden Türmen an den vier Ecken, öffnete sich ein stupender mediterraner Garten. Die Anlage war von Beeten und Wiesen in vier gleich große Quadranten geteilt, deren jeder wiederum aus ebenso vielen kleineren Sektoren bestand. Dort, wo die Quadranten aufeinandertrafen, stand ein prachtvoller Brunnen in Form eines Pokals auf einem großen, verzierten Sockel. Die Umfriedung, von außen gesehen eine schlichte Mauer, entpuppte sich auf der Innenseite als eine herrliche Loggia aus Steinwerk von blendendem Weiß mit imposanten, überaus kunstvoll gefertigten Säulen.
Doch während sich dieser Anblick noch in meinen Augen spiegelte, war mein Blick schon vorausgeeilt, weiter hinan, bis zum anderen Ende des Mauerrings. Dort, mir direkt gegenüber, öffnete sich der Laubengang und offenbarte, unbeweglich und mächtig, ein gewaltiges, fürstliches Schloss.
Betäubt durch den Anblick solcher
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