Veritas
Lebensfreude der Zwanzigjährigen in ein und demselben Pokal zu mischen. Was diese Spaßvögel an der Universität von Bologna oder Venedig zuwege gebracht hatten, nun, das mochte Gott wissen. Sah man sich jedoch an, mit welchem Genuss sie ihr Bier herunterschütteten und sich in Scherzen und Possen ergingen, ja, sich überdies als Grafen, Barone und sogar Fürsten ausgaben, konnten einem Zweifel kommen, ob sie je etwas Sinnvolles auf die Beine gestellt hatten. Und betrachtete man ihre Kleider und Schuhe unter der römischen Toga genauer, entdeckte man überall die gleichen schwarz angelaufenen Kragen, die gleichen Flicken, die gleichen durchlöcherten Sohlen. Sie waren, wie mein Gehilfe, nichts anderes als Bettelstudenten und fröhliche Taugenichtse, in der Kunst des Sich-Durchwurschtelns weit geübter als in den Wissenschaften.
«Sympathisch, deine Kameraden, Simonis», sagte ich.
«Ihr seid sehr freundlich, Herr Meister. Einige von ihnen kommen von weit her, von jenseits der Grenzen des Reiches, aus Halb-Asien», flüsterte mir der Grieche zu, als wolle er sie entschuldigen.
«Halb-Asien?», wiederholte ich, ohne zu verstehen.
«Oh, das ist meine persönliche Bezeichnung für einige Länder, die sich östlich von Wien erstrecken, jenseits von Schlesien und den Karpaten, wie zum Beispiel Pontevedro; Länder, die zwischen dem gebildeten Europa und der öden Steppe liegen, durch welche asiatische Nomaden ziehen, und das meine ich nicht bloß geographisch …», antwortete Simonis, wobei er die letzten Worte vielsagend betonte.
«Mir scheinen sie ganz normale junge Männer zu sein, so wie du», erwiderte ich verständnislos.
«Ihr dürft Euch nicht mit dem bloßen Schein begnügen, Herr Meister: Ich bin Grieche», versetzte er stolz. «Einige von ihnen hingegen sind nicht nur durch die Sprache oder durch Grenzpfähle von unserem Europa geschieden. Die weiten Ebenen und sanften Hügelketten ihrer Heimatländer, welche sich, wie ich bereits sagte, jenseits der schlesischen Grenze und jener der Karpaten hinziehen, erinnern nicht bloß landschaftlich an Gegenden nahe dem Ural oder im tiefen Mittelasien. Ihre Ähnlichkeit mit diesen Welten, die von der unseren so sehr verschieden ist, geht viel tiefer.»
Ich hatte keine Ahnung, was der Ural oder Mittelasien war, und da ich den Sinn dieser unerwarteten Rede nicht verstand, schwieg ich.
Die kameradschaftliche Stimmung ermutigte mich, das Thema zu wechseln und Simonis eine weitere Frage zu stellen.
«Warum haben dich anfangs alle den Schoristen genannt?»
«Das werdet Ihr jetzt sehen, Herr Meister.»
« Silentium , Freunde!»
Die Aufforderung eines jener Studenten, die den Beanus hereingeführt hatten, ließ die Versammlung augenblicklich verstummen. Der Grieche stieg auf die hölzerne Tribüne. Der Beanus wurde zu ihm gebracht, und Simonis verkündete mit ernster Stimme:
«Zuvor warst du ein unvernünftig Wesen, ein Vieh, ein unflätiger Schulfuchs; nunmehr wirst du ein Mann. Deine schmutzigen Zähne verwehrten dir, maßvoll zu essen und zu trinken, und verdunkelten darob deinen Geist. Jetzt wirst du zur Vernunft gebracht.»
«Heute Abend macht Simonis den Depositor», flüsterte mir Koloman mit seinem singenden ungarischen Akzent zu, «das ist derjenige, der die Zeremonie leitet. Er hat den Beanus mit einem Fuchs verglichen, weil dieser sich in den Erdlöchern versteckt wie die Schüler zwischen den Schulpulten. Darum heißt die Deposition auch Fuchsentaufe. Will man ein Mann werden, muss man hinaus ins Freie, nach Wissen streben, indem man die Universität besucht und die Welt des Lasters und der Zerstreuung hinter sich lässt. Der Beanus dieses Abends hat sich seinen Schoristen persönlich ausgesucht, er hat nämlich schon viel von ihm gehört und bewundert ihn. Simonis’ Tugenden werden ihm gewiss sehr nützlich sein.»
Das mochte ja sein, dachte ich, aber dieser ganze Schwarm fideler Studenten schien nach nichts weniger als nach Tugend und Wissen zu streben. Unterdessen wurde Simonis ein mit Stoff umwickelter Gegenstand gereicht. Es war ein Batzen schwarzen Fettes, mit dem er dem Beanus nun einen schönen Vollbart aufs Gesicht zu malen begann. Die Operation, die der Beanus stumm ertrug, wurde mit Applaus und rohem Gelächter begrüßt. Gleich darauf hielt Simonis eine kurze Rede auf Deutsch, worin der arme Beanus aufgefordert wurde, sein liederliches Leben aufzugeben, sich vom Laster zur Tugend zu wenden und mit Hilfe des Studiums der finsteren Ignoranz
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