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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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gedachte. Wer weiß, ob er ihm auch endlich einen Namen geben würde.
    Erst in diesem Moment fiel mir ein, dass ich bei meinen beiden Besuchen des Ortes Ohne Namen keine Spur eines anderen Menschen gesehen hatte, der mit den Restaurierungsarbeiten betraut wäre. Nicht einmal Frosch hatte davon gesprochen, im Gegenteil, er schien von den Plänen des Kaisers gar nichts zu wissen. Vielleicht hatten auch die Baumeister und Zimmerleute es vorgezogen, die Schneeschmelze abzuwarten, sagte ich mir. Vielleicht würden auch sie in den nächsten Tagen eintreffen, um mit den Arbeiten zu beginnen.
    Mich überkam große Müdigkeit, denn es war schon spät. So nahm ich mir vor, meine Lektüre über Joseph I. in den nächsten Tagen zu beenden. Ich wusste nicht warum, doch ich ahnte, dass sich in diesen alten Zeitungen, diesem wertlosen Papierkram, die Antwort auf meine Fragen nach dem Ort Ohne Namen verbarg.

23. Stunde, wenn man in Wien schläft (während in Rom das schändlichste Treiben anhebt)
    Seit einigen Stunden schon lag ich in den Federn, ohne jedoch Schlaf zu finden. Es war mir nicht gelungen, mich von meinen Gedanken an den Ort Ohne Namen und den Erhabenen Herrscher zu lösen; von ihnen hatte mein erschöpfter Geist sich dem Fliegenden Schiff und seinem geheimnisvollen Steuermann zugewandt und war schließlich bei Seigneur Luigi angekommen, bei den von Atto tirilierten Arien Luigi Rossis, welche ich nie vergessen und welche nun wie eine flinke Beute eine nach der anderen im Wald meiner Erinnerungen jagte. Wie klang noch dieses Arpeggio, jene kühne Modulation, wie lautete jener Vers?
    Ahi , dunqu ’è pur vero … 5 *
    Plötzlich vernahm ich ein Geräusch. Es kam aus dem Korridor des Kreuzgangs. Jemand war offenbar übel gestolpert. Eine der Nonnen des Himmelpfortkonvents konnte es nicht sein: Das Dormitorium lag weit vom Gästehaus entfernt. Neben den unseren befand sich nur das Zimmerchen von Simonis. Doch der Grieche wusste genau, dass die Handwerksgesellen bei Strafe eines stattlichen Bußgeldes vor neun oder spätestens zehn Uhr abends heimkehren mussten. Er war überdies immer pünktlich gewesen. Noch heute Abend hatte ich ihm nach den Proben für den Heiligen Alexius einen kurzen Besuch abgestattet, damit wir uns für den nächsten Tag verabredeten, und ihn in seiner Kammer über die Studienbücher gebeugt vorgefunden. Am folgenden Montag endeten nämlich die Osterferien, und die Alma Mater Rudolphina , also die Universität Wien, würde ihre Tore wieder öffnen.
    Wieder ein Geräusch. Bedacht, meine Lieben nicht zu wecken, kleidete ich mich an und ging hinaus. Ich war noch nicht im Kreuzgang angelangt, als ich die Stimme schon erkannte.
    «… Und den Lorbeerkranz … ah, da ist er ja!», hörte ich ihn erregt wispern. Er sammelte einige Gegenstände ein, die ihm offenbar aus einem großen Leinensack gefallen waren.
    «Simonis! Was tust du hier draußen zu dieser Stunde?»
    «Äh … also …»
    «Um diese Zeit müsstest du schon lang in deinem Zimmer sein, du kennst die Vorschrift», tadelte ich ihn.
    «Verzeiht, Herr Meister, ich muss gehen.»
    «Ja, ins Bett, und zwar schnell», entgegnete ich ärgerlich.
    «Heute Abend findet eine Deposition statt.»
    «Eine Deposition?»
    «Ich gebe den Schoristen, ich darf nicht fehlen.»
    «Den Schoristen? Aber was faselst du da?»
    «Ich flehe Euch an, Herr Meister, ich darf nicht fehlen.»
    «Was hast du da?», fragte ich und zeigte auf seinen Mantelsack, in dem sich etwas regte.
    «Hm … eine Fledermaus.»
    «Was? Und was willst du damit machen?», fragte ich zunehmend bestürzt.
    «Die brauche ich, um nicht einzuschlafen.»
    «Nimmst du mich auf den Arm? Willst du dir ein Bußgeld einhandeln? Du weißt genau, dass …»
    «Ich schwöre es, Herr Meister: Wenn man eine Fledermaus dabeihat, schläft man niemals ein. Man kann aber auch ein paar Kröten vor Tagesanbruch fangen und ihnen die Augen ausstechen, dann hängt man sich ein Fläschchen aus Hirschleder um den Hals und tut die Krötenaugen und das Fleisch von Nachtigallen hinein. Das funktioniert genauso gut, aber mit der Fledermaus ist es einfacher …»
    «Es reicht», sagte ich angewidert, während ich meinen wunderlichen Gehilfen an einem Arm fortzog.
    «Ich flehe Euch an, Herr Meister! Ich muss gehen. Ich muss. Sonst verweisen sie mich der Universität. Wenn Ihr mit mir kommt, werdet Ihr verstehen.»
    Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, war Simonis’ Stimme aufrichtig betrübt. Ich begriff, dass es sich um

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