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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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natürlich verheimlichen müssen, dass er blind war, und nicht nur auf eine Sänfte verzichtet, sondern auch auf weiteren Komfort, der Verdacht erregt hätte. Die Kunst der Verstellung, dachte ich, wird die letzte Gabe sein, die den müden Geist des Abbé Melani verlässt. Und dabei musste ich ein Lächeln unterdrücken.
    Freilich war ich bestürzt, von seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu hören: Abbé Melani musste ein großes Opfer gebracht haben, um mir die Stellung eines Rauchfangkehrermeisters nebst Haus und Weingarten zu verschaffen!
    «Signor Atto, was mag es Euch gekostet haben, mich hierherzuschicken, ich hatte ja wirklich keine Ahnung, dass Ihr …»
    «Lass gut sein», wehrte Atto mit einer Handbewegung ab. «Kehren wir zu uns zurück: Wie ich dir schon andeutete, bin ich wegen einer Friedensmission hier. Doch jetzt lass uns zahlen und gehen.»
    Er machte eine Geste mit dem Kopf, die bedeuten sollte, dass es besser war, nicht hier im Lokal zu sprechen.
    «Wir werden einen Spaziergang in der Umgebung machen, und du wirst dir anhören, was ich zu sagen habe. Nur im Gehen kann man sicher sein, dass keine unbefugten Ohren lauschen.»
    Domenico winkte dem Serviermädchen, das herbeieilte, um Atto beim Aufstehen und Überziehen des Mantels behilflich zu sein; dann legte sie ihm freundlich ein schönes, mit Marzipan verziertes Praliné in die Hand, an dem der alte Abbé sogleich zu knabbern begann.
    «Eine ausgezeichnete Bedienung», lobte Melani, während er sich bereitwillig auf den Arm des Mädchens stützte und ihr die Aufmerksamkeit mit einem großzügigen Trinkgeld lohnte.
    So machten wir uns auf den Weg in Richtung Stephansdom und dann zur Rothenthurmstraße.
    Am 11. September 1709, erzählte Atto weiter, fand die entsetzliche Schlacht bei Malplaquet statt. Die Franzosen ließen achttausend Tote auf dem Schlachtfeld; die Streitkräfte der Verbündeten unter Führung von Marlborough und Eugen von Savoyen verloren einundzwanzigtausend Mann, doch trotzdem war der Sieg ihrer. Gleich darauf eroberten sie die Stadt Mons und konnten auch ihre Stellungen in Tournai und Lille halten.
    Das nächste Jahr, 1710, beginnt für Frankreich mit weiteren militärischen Niederlagen. Der Feind dringt bereits ins Herz des Königreichs vor, und es entsteht sogar eine zweite Front im Süden, wo die feindlichen Heere des Marschalls Mercy mit Hilfe des Herzogs von Savoyen, Cousin von Prinz Eugen und Herrscher über das Piemont, nach Frankreich einzudringen drohen. Im Juni fallen Douai, Béthune, Aire und Saint-Venant. Die Alliierten beginnen, den Einmarsch nach Paris vorzubereiten. Die Franzosen werden an allen Fronten besiegt. Im August erleiden sie in Saragossa in Spanien eine schwere Niederlage. In Deutschland wird Bayern, der glücklose Verbündete Frankreichs, vom österreichischen Kaiser geschlagen und als Lehen unter seinen Verwandten aufgeteilt. Das Kurfürstentum Köln, ein weiterer Verbündeter Ludwigs, ist schon vernichtet. In Ungarn werden die aufständischen Landesfürsten, die Frankreich unterstützt, damit sie die Kräfte Österreichs im Osten aufreiben, von Joseph I. besiegt; ihr Anführer Rakoczy ist für immer geschlagen, seine Einheiten versprengt.
    Die zwei Kronen, wie Atto Frankreich und Spanien nannte, sind am Ende. Das Königreich Frankreich hat kein Geld, kein Heer und keine Nahrung mehr, es steht kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch und ist den verheerenden Streifzügen seiner Feinde ausgeliefert. Das Königreich Spanien, das Ludwig XIV. gegen den Willen von ganz Europa seinem Enkel Philipp von Anjou anvertraut hat (dies war der Grund des Krieges), ist ebenfalls am Boden: Der Handel ist erloschen, die Felder verwüstet, die Bevölkerung zermürbt, und ein Bruderkrieg zwischen den Anhängern Frankreichs und denen seiner Feinde spaltet das Land.
    «Dies ist der Augenblick, an dem Ludwig XIV. den Frieden nicht mehr nur fordert: Er fleht darum», sagte Atto, während wir in die Wollzeile einbogen.
    In dem niederländischen Städtchen Geertruidenberg nimmt der Allerchristlichste König von Frankreich erneut geheime Verhandlungen mit den feindlichen Mächten auf, doch seinen Gesandten schlägt abermals Verachtung entgegen. Die von den Verbündeten gestellten Bedingungen sind absichtlich unerfüllbar: Innerhalb von zwei Monaten soll der Allerchristlichste König seinen eigenen Enkel Philipp mit Gewalt vom spanischen Thron verjagen. Also geht der Krieg weiter. Neue Hoffnungen auf Frieden wecken die

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