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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Allein, es herrscht dort ein solches Gedränge von Kutschen, Spaziergängern und Dienern, dass man meint, auf dem Fischmarkt zu sein. Das Kommen und Gehen in den Königspalästen ist so rege, das Benehmen all dieser Leute so schamlos, dass man, um die Diebstähle in der Königlichen Kapelle einzudämmen, die Todesstrafe auf dieses Delikt gesetzt hat. Eine Farce, denn niemand wird je verurteilt. Um die Mittagszeit kann sich jeder beliebige Parasit in die Säle einschleichen, mit dem Enkel Ihrer Majestät konversieren und sich an den Tisch des Großen Haushofmeisters, des Kämmerers, des Almoseniers, der Hofprediger oder der Beichtväter des Königs setzen. In dieser trunkenen Wirrnis, wo Geschwätz und Verschwendung regieren, hörst du, während die goldenen Salzstreuer für die Tafel Ihrer Majestät vorbeigebracht werden, ringsumher Klatschgeschichten über die Liebhaber und sodomitischen Abenteuer von diesem oder jenem. Bist du krank, kannst du dich vom König berühren lassen. Er streift beim toucher die Bettlägerigen mit derselben Hand, die ein Leben lang Befehle für Eroberungen und Vernichtungsfeldzüge ganzer Völker unterzeichnete. Hast du einen einflussreichen Freund, darfst du am debotté teilnehmen, bei dem Seine Majestät sich graziös die Stiefel ausziehen lässt – dumme Rituale, für die er sich heute preisen lässt, obwohl sie jahrhundertealt sind und auf die Zeit der Valois zurückgehen. Und während die Höflinge in all diesen Jahren nichts anderes taten, als sich um einen besseren Posten oder ein höheres Salär zu streiten und den Souverän zu verhöhnen, ging Frankreich an den Kriegsausgaben zugrunde und versank in der Hölle, in der es sich heute befindet. In Wien dagegen …»
    «In Wien?», wiederholte ich, immer noch fassungslos, von Atto ein Loblied auf die Feinde Frankreichs zu hören.
    «Siehst du es denn nicht mit eigenen Augen? In Frankreich herrscht Verschwendung, in Österreich Sparsamkeit. Dort ist für jeden Herrscher der Ehebruch die Regel, hier die Treue zur Gemahlin. Das Schlafzimmer des Kaisers betreten nur Kammerdiener, und nicht jeder beliebige Schmeichler. Er lässt sich nicht auf einem Karren porträtieren, mit dem er alle zerquetscht, die ihm trotzen, er lässt sich keine Melodramen von diesem Kriecher Lulli schreiben, worin er in der Gestalt des Perseus Drachen tötet und Prinzessinnen erobert. Leopold, der Vater des derzeitigen Kaisers, ließ sich in einer Skulptur verewigen: Sie zeigt, wie er vor der Allmacht Gottes niederkniet und ihm dankt, dass er Wien von der Pest befreite.»
    Im Greisenalter erlebte Atto die bittere Niederlage der hochmütigen Ideale seines Königs und damit das Scheitern eines ganzen Lebens, seines eigenen, das er dem harten (und nicht selten entwürdigenden) Dienst an Frankreich geopfert hatte.
    Franzosen, welche die Kaiserliche Schatzkammer in der Hofburg besichtigt hatten, fuhr Melani fort, waren schadenfroh nach Frankreich zurückgekehrt, um dem Allerchristlichsten König zu berichten, wie wenig die Kronjuwelen der Habsburger im Vergleich zu den Reichtümern von Versailles wert waren.
    «Sie lachen und sagen, dass in der Galerie und den fünf Kabinetten nur Plunder herumstehe. Unter den Gemälden gebe es einzig ein paar Correggios von gewissem Wert. Lächerlich sei auch das Juwelenkabinett, bis auf einen großen Kelch, der aus einem einzigen Smaragd gefertigt und so kostbar ist, dass nur der Kaiser ihn berühren darf; ebenso dürftig sei das Kabinett der Uhren, wo es, wie man mir sagte, nur ein wirklich besonderes Stück gebe: einen mechanischen Krebs, dessen Bewegungen so natürlich wirkten, dass man ihn kaum von einem echten unterscheide; leidlich sei das Kabinett mit den schönen großen Achaten und den Vasen aus Lapislazuli, während das Kabinett der Münzen armselig sei: keine einzige Münze von Wert und alle unordentlich verstreut. Und im letzten Kabinett sind angeblich nur lächerliche Gegenstände ausgestellt wie Bildchen aus Wachs und Spielzeug aus Elfenbein, die höchstens dazu taugen, sie einem fünfjährigen Kinde vorzuführen!», rief der Abbé mit ungläubig gehobenen Augenbrauen.
    Doch die Franzosen, bemerkte er nun in verändertem Tonfall, hätten besser daran getan, weniger geringschätzig zu sein, denn die Genügsamkeit dieser großen Kaiser sei dem Volk zugutegekommen, während in Frankreich die Menschen verhungerten.
    «In Wien hat es nie Platz gegeben für Günstlinge und Abenteurer wie Concini, böse Seelen wie Richelieu,

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