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Veritas

Titel: Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesco Rita & Sorti Monaldi
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Profiteure wie Mazarin, Verräter wie Condé, verschlagene Konkubinen wie Madame de Maintenon. Am Kaiserhofe entscheiden nur die vom Kaiser selbst ausgewählten Minister. Die großen Adelsfamilien dienen ihm seit Jahrhunderten, sie sind keine falschen Schlangen. Nicht allein die Schatzkammer, nein, die ganze Residenz ist bescheiden ausgestattet, und es gibt nur halb so viele Diener wie in Versailles: Dem Adel überlässt man den Prunk und die großen Paläste, dem Kaiser genügen Würde, Tradition und Glaube. Er vertraut den großen Familien die Regierung der Provinzen an, dafür respektieren sie seine Vorrangstellung. Hier gibt es keine Komplotte, Giftmorde, Ausschweifungen, keine obskuren magischen Riten und dergleichen Abscheulichkeiten mehr, wie sie Versailles schänden. Wenn ich dir davon erzählen würde …»
    «Stimmt», nickte ich, «vor Jahren spracht Ihr mir davon, und Ihr habt mir auch von den Verleumdungen gegen den armen Oberintendanten Fouquet und den schwarzen Messen der Montespan, der Geliebten des Königs, berichtet …»
    «Ah, und die erst! Aber habe ich dir das alles wirklich schon erzählt?»
    Die Erinnerung des Abbé Melani begann nachzulassen. Wen nähme das wunder, mit fünfundachtzig Jahren?
    «Ja, Signor Atto, sowohl im Donzello als auch in der Villa Spada.»
    «Was für ein Gedächtnis du hast! Gut so. Ich dagegen bin zu nichts mehr nütze.»
    «Aber Onkel, so dürft Ihr nicht sprechen», mischte sich zum ersten Mal der Neffe Domenico ein. «Hört nicht auf ihn», fügte er zu mir gewandt hinzu, «er beklagt sich gerne. Gott sei Dank geht es ihm viel besser, als es den Anschein hat.»
    «Ach, wenn der Allerchristlichste König mir doch nur die Freiheit gewährte, Paris zu verlassen! Ich würde sofort nach Hause zurückkehren, in die Toskana», sagte Atto betrübt. «Ja, dort ginge es mir gut, in Pistoia, bei meinen Verwandten, auf meinem Gut in Castel Nuovo. Ich habe es vor vielen Jahren erworben und noch kein einziges Mal gesehen. Sogar mit einer Porträtgalerie habe ich es ausgestattet: Sie enthält Bilder des Königs, der Madame Konnetabel, der beiden Kardinäle, des Dauphins, der Dauphinesse, dazwischen der König zu Pferde … Auch die vier kleinen elliptischen Gemälde mit einer Galathea aus der Villa des Schiffs, die mir Abbé Benedetti vermacht hat, habe ich dorthin geschickt und sie, ein wenig geneigt, damit man sie besser sieht, über die vier kleinen Fenster der Galerie hängen lassen. Aber ich muss mich damit begnügen, mir ihre Wirkung mit Hilfe der Briefe meiner Neffen vorzustellen. Wenn ich in Paris bleibe, werde ich zudem bald arm werden, mit diesen Zetteln statt des echten Geldes, die doch nur so viel wert sind wie altes Papier! Die ganze Stadt ist voll davon, 150 Millionen livres sollen es sein, denn im übrigen Reich will keiner sie haben. Sie sind Teufelswerk und der Ruin Frankreichs. Wenn du sie in Italien eintauschst, geben sie dir weniger als die Hälfte, darum kostet mich die kleinste Ausgabe für mein Gut ein solches Vermögen, dass ich nicht einmal Eisenringe um die Weinfässer schlagen lassen kann …» Hier schluchzte Atto. «Ich habe mich so weit erniedrigt, auf die Lotterie des Königs zu hoffen, die am Johannistag ausgelost wird, und Gott zu bitten, er möge mir einen schönen Gewinn schenken, damit ich ihn ganz für Castel Nuovo ausgeben kann. Aber der König lässt mich nicht gehen, er sagt, er sei mit mir aufgewachsen und könne auf den Abbé Melani nicht verzichten, und wenn ich insistiere, wird er böse und entlässt mich. Jedes Mal, wenn ich diese grässliche Reise nach Versailles mache, um Lizenz zu erbitten für meine Rückkehr nach Italien, war alles vergebens, und ich bin nur noch schwächer geworden …»
    «Ein Umzug von Paris in die Toskana? In Eurem Alter?», wunderte ich mich.
    «Was habe ich Euch gesagt?», zwinkerte der Neffe mir zu. «Die Unbilden der Reise von Frankreich nach Wien hat er ertragen wie ein Zwanzigjähriger.»
    «Bitte übertreibe nicht, Domenico», murrte der Abbé.
    Vielleicht übertrieb der Neffe, fest stand jedoch, dass der alte Kastrat seelenruhig vor mir saß, nachdem er die windigen Ebenen, die zugefrorenen Flüsse und die schneebedeckten Berge und Pässe, die das kalte Paris vom eisigen Wien trennten, hinter sich gelassen hatte. All das ohne das kostbare Gut des Augenlichts und überdies, nachdem die Grenze überschritten war, verkleidet als Beamter der Kaiserlichen Post. Um nicht entlarvt zu werden, hatte er

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