Veritas
mit erstickter Stimme, während ich meinerseits begann, mich forschend umzublicken, ob uns jemand zuhörte. «Und wie meint Ihr, könnte ich Euch behilflich sein?»
«Ganz einfach. Meine Tarnung als Kaiserlicher Postmeister wird hier in der Stadt nicht lange unentdeckt bleiben. Wenn ich versuchen würde, in den Hof zu gelangen, würde ich als feindlicher Franzose entlarvt und zu Frikassee verarbeitet werden. Um bis zum Kaiser vorzudringen, müssen wir eine Abkürzung nehmen.»
Er beugte sich wieder zu mir vor, um noch leiser sprechen zu können: «In der nämlichen Straße, wo das Himmelpfortkloster sich befindet, wohnt eine Person, an welcher dem Kaiser sehr gelegen ist. Es handelt sich um ein Mädchen von eben zwanzig Jahren mit Namen Marianna Pállfy. Sie ist die Tochter eines kaisertreuen ungarischen Adeligen und die Geliebte Josephs.»
«Die Geliebte? Davon wusste ich ja gar nichts …», sagte ich verwirrt.
«Natürlich wusstest du nichts davon. Das sind saftige Klatschgeschichten, die kein Wiener einem Fremden anvertraut. Doch die hier ansässigen französischen Spione sorgen schon dafür, dass sie bis nach Paris gelangen. Joseph hat ihr auf den Rat Eugens hin in der Himmelpfortgasse ein Logis verschafft, gleich neben dessen Palais. Sie wohnt, um genau zu sein, in einem Häuschen, das einer Ordensfrau vom Himmelpfortkonvent gehört, Schwester Anna Elena Strassoldo, einer Adeligen italienischer Herkunft, die derzeit erste Fräuleinmeisterin des Konvents ist. Übrigens könnte auch diese Person ein guter Weg sein, um zur Pállfy zu gelangen», schloss er seelenruhig.
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Darum also hatte Atto sich und mir Unterkunft im Himmelpfortkloster beschafft! Der Konvent lag genau im Zentrum der Intrige, die zu spinnen er sich anschickte, nämlich zwischen Eugens Palais und der Wohnung der Geliebten von Joseph dem Sieghaften. Fast hätte ich ihm sagen wollen, dass ich seinen Plan durchschaut hatte, doch mir blieb keine Zeit, den Mund zu öffnen. Atto hatte sich von seinem Neffen den Stock reichen lassen und war aufgestanden.
«Ich möchte ein paar Schritte tun. Wir werden nicht mehr zusammen auf die Straße gehen, das könnte auffallen. Du bleib ruhig hier, wenn du noch ein wenig in der Wärme sitzen willst. Ich werde dich rufen lassen, wenn der Augenblick zu handeln gekommen ist.»
Fast wäre ich allein am Tisch sitzen geblieben, hätte sich nicht plötzlich die Tür des Kaffeehauses geöffnet und ein neuer Gast Atto Melani und seinen Neffen überrascht. Im Eingang der Blauen Flasche erschien Cloridia.
«Ich habe dein Billett im Kloster gefunden», hub sie zu mir gewandt an, dann sah sie, wer bei mir stand. Im ersten Moment traute sie ihren Augen nicht.
«Herr Abbé Melani … Herr Abbé! Ihr hier?»
Ganz im Gegensatz zu früheren Gelegenheiten, bei denen sie einander begegnet waren, öffnete sich Cloridias Mund, kaum dass sie Attos ansichtig wurde, nun zu einem strahlenden Lächeln. Sie zeigte sich freundlich und sparte nicht mit Dankesworten für die Schenkung, die uns endlich ein Auskommen, ja Wohlstand verschafft hatte. Der Abbé antwortete mit viel Dekorum und ebenso großer Liebenswürdigkeit auf Cloridias Bezeigungen, und als sie ihrem Mitgefühl über seine verlorene Sehkraft Ausdruck gab, wirkte er sogar gerührt. Die Zeit hatte auf beider Antlitz Spuren hinterlassen, aber ihre schwierigen Wesenszüge geglättet. Cloridia stand vor einem verwelkten über Achtzigjährigen, Atto vor einer reifen Frau. Während sie noch Artigkeiten austauschten, öffnete sich die Tür ein weiteres Mal. Es war Simonis. Er grüßte Cloridia, Atto und Domenico ehrerbietig; als Abbé Melani indes den unangenehmen Rußgeruch spürte, hielt er sich erneut sein Tüchlein vor die Nase.
«Wir müssen uns beeilen», mahnte meine Frau, «bald wird er aus dem Palais des Prinzen Eugen kommen. Wir können ihm folgen.»
«Wem?»
«Diesem Ciezeber, dem Derwisch. Ich habe heute sonderbare Dinge im Palais beobachtet. Und nach dem, was der Aga zu Eugen gesagt hat, sollten wir unbedingt herausbekommen, was er im Schilde führt.»
«Was hat der Aga zu Eugen gesagt?», mischte Atto sich ein.
«Einen wunderlichen Satz», antwortete Cloridia. «Er hat gesagt, die Türken seien ganz allein hierhergekommen, zum pomum aureum … »
«Das ist eine komplizierte Geschichte», warf ich rasch ein, im Versuch, meine Gemahlin zu unterbrechen, die noch nichts von meinem Arg gegenüber Atto und den Türken wusste.
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