Veritas
waren.
Die Verfolgung war nicht einfach. Einerseits war Ciezeber dank seiner Kopfbedeckung und Kleidung auch aus der Ferne leicht zu erkennen. Andererseits erschwerte das flache Gelände der Vorstädte nördlich von Wien eine Verfolgung, da man ständig Gefahr lief, entdeckt zu werden.
Als er das Kärntnertor durchquerte, erregte der Derwisch bei den Spaziergängern und Händlern, die mit ihren Karren passierten, weitere amüsierte Blicke, blieb aber vollkommen gleichgültig und behielt seinen raschen Schritt bei. Cloridia klärte mich unterwegs über einige Besonderheiten der Kleidung Ciezebers auf.
«Dieses Horn, das er bei sich trägt, wird von den Derwischen zu bestimmten Stunden geblasen, um das Gebet anzukündigen, der Stock dient eigentlich als Werkzeug für spirituelle Übungen: Die Derwische pflegen ihr Kinn darauf abzustützen und dann die Augen zu schließen. Doch der Stock hält es nur so lange, wie der Haken nicht bewegt wird. Wenn der Derwisch einschläft, schwankt der Haken, der Stock fällt hin, und er wacht auf.»
«Das ist ja fast wie ein Folterwerkzeug.»
«So kann man es auch sehen», lächelte meine Frau. «Auf jeden Fall verfügen Derwische über höchst absonderliche Fähigkeiten, wie mir meine Mutter erzählte.»
Hinter dem Kärntnertor gingen wir über das Glacis, jene staubige Ebene, die Wiens Bollwerke umgibt, und überquerten die Wienn, den kleineren Fluss der Stadt, nach dem, wie viele behaupten, die Kaiserstadt benannt wurde. Der Derwisch entfernte sich in Richtung Wieden, einer Vorstadt, hinter der sich, so weit das Auge reichte, ungezählte Reihen von Weinstöcken wie eine sanfte grüne Ebene hinzogen. Wir ließen Niclsdorf und Matzelsdorf hinter uns und gelangten in Sichtweite des äußeren Befestigungsrings, des sogenannten Linienwalls, der vor wenigen Jahren von italienischen Baumeistern errichtet worden war.
Dem Derwisch immer auf den Fersen, traten wir durch das Tor der Verteidigungsmauern und hatten das Stadtgebiet nun endgültig verlassen. Die Verfolgung setzte sich auf dem freien Land fort, auf der Straße, die von Wien nach Neustadt führt.
Um uns herum erstreckten sich gepflügte Felder, selten nur sah man einige Gebäude. Eine gute weitere Stunde hielten wir uns hinter unserem Mann, wobei wir häufig Gefahr liefen, ihn zu verlieren: Da außerhalb der Stadtmauern auch die Häuserzeilen und Paläste aufhörten, mussten wir ihn aus beträchtlichem Abstand beschatten, um nicht entdeckt zu werden. Uns kam zugute, dass ich die Straße kannte: Es war ebenjene, über die ich mit Simonis und dem Kleinen zum Ort Ohne Namen gefahren war.
Unterdessen erzählte mir Cloridia endlich, was sie an diesem Tag in Eugens Palais beobachtet hatte.
«Ciezeber hat heute Besuch von einem mysteriösen Wesen erhalten. Es ging um ein sehr dunkles Geschäft.»
«Ein mysteriöses Wesen?»
«Keiner hat sehen können, um wen es sich handelte. Er ist durch einen Nebeneingang gekommen, durch den er auch wieder verschwunden ist. Doch ich hatte Glück: Nicht nur habe ich seine Anwesenheit bemerkt, ich habe auch verstanden, dass es sich nicht um einen Wiener, vielleicht nicht einmal um einen Christenmenschen handelt.»
Die Dinge hatten sich folgendermaßen zugetragen: Cloridia hatte eine Magd in das Palais begleitet, von welcher zwei Männer aus dem Gefolge des Agas Stoffe kaufen wollten. Während der Kaufverhandlungen, die in einem der Räume im ersten Stock geführt wurden, hatte Cloridia durch den Türspalt eine seltsame, übelriechende Figur über die Freitreppe huschen sehen. Sie war in einen schmutzigen Mantel gehüllt, der das Gesicht sorgfältig verbarg, und wurde von einem osmanischen Soldaten aus der üblichen Eskorte des Derwischs begleitet. Da die Magd bei den Verhandlungen ausgezeichnet allein zurechtzukommen schien (einer der beiden Türken, die sich für ihre Stoffe interessierten, sprach ein wenig Deutsch, vor allem aber konnte er zählen und kannte den Wert der Münzen), hatte Cloridia sich unter einem Vorwand entfernt und den Raum ausgemacht, in den das geheimnisvolle Wesen geführt worden war. Kaum war die Magd mit den beiden Türken handelseinig geworden, hatte mein schlaues Weib sich an jene Tür gestellt, um zu belauschen, was in dem Zimmer vor sich ging.
«Die Stimme Ciezebers habe ich sofort erkannt. Außer ihm waren noch mindestens zwei weitere Türken dabei. Natürlich redeten sie in ihrer Sprache. Dann war da dieser schmutzige, stinkende Mensch, der geheimnisvolle Gast,
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