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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen von der Lippe
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allermeisten Menschen Vollwaisen, und mit Kasperpuppen spielen sie auch nur noch in den seltensten Fällen«, sagte Marga in begütigendem Tonfall. Sie ahnte schon, wie der Nachmittag wieder verlaufen würde, und ihr graute davor. Sie setzte die Elektroschocks wirklich nur sehr ungern ein, denn Ewald vertrug sie nicht mehr gut, aber medikamentös war seinen Aussetzern, wie sie es freundlich nannte, nicht mehr beizukommen; er verweigerte die Einnahme, und auf dem Höhepunkt seiner Aggressionen legte er eine fast beängstigende Fantasie an den Tag, was die Auswahl der Instrumente anging, mit denen er die Objekte seines Zorns, in der Regel sie, Marga, von fern und nah traktierte.
    »Ich bin ein seltener Fall«, stellte Ewald klar und switchte von weinerlich auf schnippisch, »und wenn du mit Puzzlemännchen spielst, kann ich erst recht mit Kasperpüppchen spielen!«
    Er goss sich Wein nach, nahm einen großen Schluck und begann »tri, tra, trullala« zu pfeifen.
    Stumm abwartend und die Puzzleteile zu einer Kugel zusammenfügend, beobachtete Marga aus den Augenwinkeln, wie er sich in der Küche zu schaffen machte. Die zwei Weinflaschen auf dem Tisch verband er mit einem Rest Paketband, legte ein kariertes Trockentuch über die Schnur, sodass eine kleine Puppenbühne entstand. Dahinter, ihrem Blick verborgen, fummelte er mit allerlei Utensilien herum.
    »Tusch«, rief er plötzlich laut, wobei sein Gebiss herausflog, das aber von den zwei Topfdeckeln, die er fast im selben Moment zusammenschlug, gleich wieder eingefangen wurde.
    Marga fühlte Entsetzen in sich aufsteigen, als sie in den leeren, weit geöffneten Mund ihres hell auflachenden Mannes sah, dem die Klangutensilien geräuschvoll aus den Händen fielen. Statt die Zähne wieder einzusetzen, steckte er sie in die Hosentasche und verkündete: »Ber Basper bommt!«
    Auf der Bühne erschien nun ein geblümtes Küchentuch mit einem Knoten als Kopf und aufgemalten Augen.
    »Hallo Binder, seib ihr alle ba?«, fragte der Kasper und wedelte ungestüm mit einer Fliegenklatsche. Marga verharrte sprachlos.
    »Ich sehe beine Binder, ich sehe nur seelenlose Bappbameraben«, rief er erregt, »wo sind die Binder? Raus mit ber Brache, sonst bibt's Baures! Na?«
    Bevor Marga reagieren konnte, haute der Kasper mit der Patsche ihre Puzzle-Kugel kaputt.
    Das Haus brannte völlig nieder, die Brandexperten von Polizei und Feuerwehr standen vor einem Rätsel, zumal dieser Brand der erste in einer ganzen Serie von Feuersbrünsten war, denen immer ältere Männer zum Opfer fielen. Ewald hatte man anhand der beiden künstlichen Gebisshälften identifizieren können, von Marga S. fehlte jede Spur.
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DER TOTE
    »So was habe ich noch nicht erlebt«, knurrte der Inspektor, »dasgibt es einfach nicht! Der Mann ist in seinem Garten ermordet worden und wird in seinem Fernsehsessel sitzend gefunden. Aber es gibt keine Schleifspuren, keine Fußabdrücke, nichts. Wir haben einfach keinen Hinweis darauf, wie und warum er in seinen Scheißsessel gekommen ist!«
    »Und wieso seid ihr so sicher, dass der Mann im Garten ermordet wurde?«, fragte seine Frau.
    »Liebes, der Bursche wurde vom Adamsapfel bis zu den Klöten aufgeschlitzt, er ist fast völlig ausgeblutet, der Eisengehalt des Gartenbodens an dieser Stelle verrät, dass etwa vier Liter aus ihm rausgelaufen sind, mit nur noch einem Liter läuft niemand mehr quer durch den Garten und setzt sich vor den Fernseher, nicht mal, wenn Julia Roberts kommt!«
    »Zeig mir mal die Fotos«, sagte seine Frau.
    »Schatz, das ist Blödsinn, du schläfst eine Woche nicht!«
    »Los, mach schon, ein bisschen weibliche Intuition kann nie schaden!« Widerwillig schob Inspektor Willouby seiner Frau Esther den Packen Tatortfotos hinüber. Sie betrachtete sie schweigend und sagte dann: »Warum lächelt der Mann?«
    »Also, wenn ich so was schon lese«, erregte sich Dietmar von Boretzky, »wenn ich so was lese, diese Möchtegerndetektivinnen, dabei sagt jede Statistik, dass in der Polizeiarbeit äußerst selten ein Fall von einer weiblichen Beamtin gelöst wird, und deshalb sind Krimis, die von Frauen geschrieben werden, einfach scheiße!« »Jetzt beruhige dich doch, das ist ja geradezu kindisch«, sagte Evi Auch-von Boretzky, die sich in ihrem Leben schon so manches Scherzwort über ihren Doppelnamen hatte anhören müssen, aber sie fand ihren Mädchennamen Auch

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