Verkehrte Welt
einfach schick und witzig, hätte ihn am liebsten auch behalten, war dabei aber bei ihrem adligen Gatten auf viel Unverständnis gestoßen (»Andere Leute zahlen einen Haufen Geld für einen Adelstitel!«), und so hatte man sich auf diesen Kompromiss geeinigt.
Ihr Mann goss sich gerade einen vierfachen Jack Daniels ein.
»Evi auch!«, sagte Evi und fuhr fort: »Wie kann man denn nach einem Absatz schon über ein Buch meckern, gib mal her!« Sie nahm das Buch und las laut vor.
»Also ein Lächeln würde ich das nicht nennen«, brummte der Inspektor.
»Und die Augen sind geschlossen«, fuhr seine Frau fort, »die muss doch jemand zugedrückt haben; ich finde, der Mann wirkt friedlich, so, als hätte er eine letzte Aufgabe bravourös erfüllt. Warum ist er eigentlich im Garten nackt und in seinem Fernsehsessel angezogen?«
»Das wissen wir nicht, die Untersuchungen laufen ja noch.«
»Was war eigentlich im DVD-Player?«
»Das ist doch völlig uninteressant, er hat doch sowieso nicht mehr geguckt, jetzt nerv mich nicht!«
»Ich sage dir, wie es war, er wusste, er muss sterben, Krebs im Endstadium, um aber seiner Tochter das Studium zu finanzieren, hat er der Drogenmafia einen Deal vorgeschlagen, er lässt sich eine riesige Menge Koks oder Heroin in den Magen legen, das wird zugenäht, er schmuggelt das ins Land, die Jungs entnehmen den Beutel, es sieht aus wie Mord, und die Klamotten mussten sie verschwinden lassen, weil es ja zwei Kleidergrößen mehr waren!«
»Gute Güte, so ein Quatsch kann auch nur einer Frau einfallen«, schnaubte Dietmar, »in den Magen legen, wenn ich so was schon höre, der Magen ist doch keine Schublade, die man aufzieht und vollpackt. Außerdem passen in einen Magen keine Kilos, höchstens eines, und dafür bräuchte man nicht gleich zwei Kleidergrößen mehr, und für ein Kilo von dem Zeug würde sich der ganze Aufwand sowieso nicht lohnen. Das ist alles gequirlte Kacke.«
»Warte doch erst mal ab«, sagte Evi beschwichtigend, »es ist doch völlig normal, dass am Anfang so eines Falls spekuliert wird, und vielleicht ging es ja auch gar nicht um den Mageninhalt, sondern um den Magen selbst oder die Leber. Vielleicht hatte der Tote keinen Krebs, sondern der Auftraggeber, ein reicher Reeder mit seltener Blutgruppe, der dringend einen Spender brauchte, hat ihn umbringen lassen, dann wäre es Organraubmord, und das kommt ja heutzutage immer öfter vor.«
»Und warum bitte schön sollten sich derart abgefuckte Killer die Mühe machen, ihr Opfer ohne Spuren in den Fernsehsessel zu hieven, nachdem sie sich die Leber geschnappt haben, he?«
»Wieso, könnte doch sein, dass der Killer in einer Zwangslage war, erpresst wurde, vielleicht hat man seine Tochter entführt und droht, sie umzubringen.« »Was hat das jetzt mit dem Fernsehsessel zu tun?«, fragte Dietmar leicht gereizt. »Na ja, das würde zeigen, dass der Killer im Grunde seines Herzens ein Sensibelchen ist, dem es leidtut und das dem Opfer dadurch ein bisschen Würde zurückgeben wollte, anstatt es ausgeschlachtet einfach im Garten liegen zu lassen.«
Jetzt ergriff Dietmar die Schwarte und las weiter.
»Soweit wir wissen, Schatz, hatte der Mann keine Tochter, auch keine Familie, sondern lebte allein in seiner Villa und betrieb ein offenbar sehr lukratives Im- und Exportgeschäft, mit was, wissen wir noch nicht. Und nun lass gut sein, Esther, und geh schlafen. Ich komme auch gleich.«
»Das ist der erste vernünftige Satz in diesem Buch«, sagte Dietmar, »und genau das machen wir jetzt auch.«
»Schade«, dachte Evi, »dann wird der gute Dietmar nie erfahren, dass das Ganze das Werk von Außerirdischen war und dass der Mann wiederauferstehen würde, weil die Außerirdischen einen synthetischen Blutersatz ausprobieren wollten, und und und ...«
Und er würde nicht erfahren, dass die Autorin Undine Tonne in Wirklichkeit Evi Auch-von Boretzky hieß.
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DER UNFALL
Der Aufprall war gar nicht so schlimm, wie man hätte denken können. Walter hatte bei Tempo 70 versucht, einem Reh auszuweichen, das urplötzlich auf der beiderseits von alten Ulmen gesäumten Chaussee stand. Vielleicht hatte er ein bisschen geträumt. »Stairway to heaven« steht ja auch auf ewig in der Bestenliste ganz oben. Eine Ulme lässt sich so leicht nicht beeindrucken, schon gar nicht von einem Smart.
»Scheiß die Wand an, Renate, alles o.k.?«
Es sah
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