Verlangen
ausgeritten?«
Sie starrte ihn an. »Ist das dein Ernst?«
»Und ob.«
»Du würdest um diese Zeit mit mir ausreiten?«
»Ja.«
»Das ist ein Trick, nicht wahr? Du versuchst, mich zu entwaffnen, mich deine Anmaßung vergessen zu lassen.« »Ja.«
»Das leugnest du noch nicht einmal?«
Er zuckte die Schultern. »Weshalb sollte ich? Es ist die Wahrheit.«
»Dann muß ich dein Angebot ablehnen.«
Ein verschlagenes Grinsen flackerte in der Dunkelheit auf. »Die Frage ist nicht, ob du es mußt, sondern, ob du es kannst.«
Er kannte sie einfach zu gut. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. Wenn sie mit ihm ginge, hieße das nicht, daß sie kapitulierte. Sie würde lediglich die Gelegenheit zu einem Abenteuer ergreifen. Ein Ausritt im Mondschein. Das klang wunderbar. Außerdem konnte sie, obwohl ihre Kopfschmerzen bereits vor einigen Stunden nachgelassen hatten, nicht schlafen.
»Du wirst es mißverstehen, wenn ich mitkomme«, sagte sie.
»Werde ich das?«
Sie nickte grimmig. »Du wirst denken, ich hätte dir die schlechte Behandlung verziehen.«
»Ich bin nicht so verrückt zu glauben, daß du mir so leicht verzeihst.«
»Gut. Denn das werde ich nicht tun.«
»Ich verstehe«, sagte er ernst.
»Du wirst es also nicht als Unterwerfung betrachten?«
»Du hast dich deutlich genug ausgedrückt«, versicherte Lucas.
Victoria zögerte noch eine Sekunde, bevor sie aus dem Bett sprang und sich auf die Suche nach den Reithosen begab, die sie bei ihren nächtlichen Abenteuern in London getragen hatte.
»Dreh dich um«, befahl sie, als sie ihr Nachthemd abstreifte.
»Weshalb? Ich habe dich inzwischen oft genug nackt gesehen.« Er lehnte am Bettpfosten, die Arme vor der Brust gekreuzt. »Und es interessiert mich zu sehen, wie du in ein Paar Männerhosen steigst.«
Sie starrte ihn böse an und trug ihre Kleider durch den Raum hinter den Paravent. »Du bist kein Gentleman, Lucas«, erklärte sie, während sie sich in die Hosen kämpfte.
»Ein Gentleman würde dich langweilen. Gib es zu, Vicky.«
»Ich gebe überhaupt nichts zu.«
Zehn Minuten später stand Victoria vor den Ställen, einen bernsteinfarbenen Schal um den Hals, in einen Umhang mit Kapuze gehüllt, die Zügel in der Hand. Sie sah zu, wie Lucas schnell ihre Stute und den schläfrigen George sattelte.
»Ich hoffe nur, daß ich dieses Unternehmen nicht noch bedauern werde«, sagte Lucas, als er ihr in den Sattel half.
»Jetzt ist es zu spät.« Sie ergriff die Zügel. Wie schön war es, einmal nicht im Damensitz reiten zu müssen. »Und außerdem mag ich dich am liebsten, wenn du wider besseres Wissen handelst, Lucas. Los geht’s.«
»Langsam«, rief er ihr nach, als er sich in den Sattel schwang. »Es ist dunkel, Vicky. Sei vorsichtig. Bleib auf dem Weg.«
»Ich würde aber gerne durch den Wald reiten«, protestierte sie.
»Ich weiß nicht, ob bereits sämtliche Fangeisen entfernt worden sind«, sagte er. »Also bleiben wir auf der Straße.«
Sie war zu glücklich, um weiter zu streiten. Es genügte zunächst einmal, mitten in der Nacht auf einem Pferderücken zu sitzen. Sie lenkte ihr Pferd in Richtung der Auffahrt, und George paßte sich gutmütig der Gangart der Stute an.
Einige Minuten lang herrschte Stille, während sie ihre Pferde unter dem Blätterdach der Bäume, die den Weg zum Stonevaleschen Herrenhaus säumten, hindurchführten. Schließlich ergriff Lucas das Wort.
»Ich habe mit dem Pfarrer darüber gesprochen, noch ein paar Bäume zu pflanzen. Eichen oder Ulmen vielleicht. Das Holz wäre eine hervorragende Investition für unsere Kinder und Enkel.«
»Lucas, ich wünsche heute nacht nicht über Investitionen gleich welcher Art zu diskutieren«, sagte Victoria energisch.
»Was ist mit der Zukunft? Würdest du darüber gern sprechen?«
Ihre Hände umklammerten die Zügel. »Nicht unbedingt.«
Seine Stimme wurde sanfter. »Ist dir eventuell schon der Gedanke gekommen, daß du vielleicht inzwischen mein Kind trägst?«
»Darüber möchte ich nicht nachdenken.«
»Findest du diese Vorstellung denn so entsetzlich? Das überrascht mich, Vicky. Du bist schließlich alles andere als feige.«
»Haben Sie mich hierher gebracht, um mit mir über Ihren Erben zu sprechen, Graf? Wenn das der Fall ist, können wir gleich wieder umdrehen.«
Er schwieg einen Augenblick. »Haßt du mich so sehr, daß du noch nicht einmal mein Kind gebären willst?«
»Ich hasse dich nicht.« Sie fühlte sich von ihm unter Druck gesetzt. »Darum geht
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