Verlangen
verweisen, diejenige zu sein, die die Kontrolle über alles hatte.
Doch auch wenn sie es nicht zugab, so spürte er, daß einer der Gründe, weshalb sie anfangs so fasziniert von ihm war, darin lag, daß sie sich nicht so sicher sein konnte, die Kontrolle über ihn zu haben. Sie war eine starke Frau, die einen noch stärkeren Mann brauchte.
Jetzt, wo sie ihn gefunden hatte, konnte sie der Versuchung einfach nicht widerstehen, ihn auf die Probe zu stellen.
Er bedauerte, daß es zum offenen Krieg zwischen ihnen gekommen war. Aber Lucas wußte, daß er jetzt, wo die Gefechtslinien gezogen waren, nicht nachgeben und Victoria ihren Willen lassen konnte, da er ansonsten in Zukunft bitter dafür würde bezahlen müssen.
Ihrer beider Leben hatte sich dramatisch verändert. Das mußte er ihr klar machen. Sie mußten jetzt an zukünftige Generationen denken und nicht nur an ihr eigenes Leben. Ein Anwesen wie Stonevale mußte für die Nachfahren erhalten werden. Es war eine Investition für die Zukunft und nicht bloß für die Gegenwart.
Lucas sagte sich, daß diese Nachfahren von Victorias und seinem Blut sein würden. Sie hatte also ein ebensolches Interesse an diesem Land wie er. Keiner von ihnen würde so leichtfertig weiterleben können wie vor der Heirat.
Gütiger Gott. Er klang allmählich wirklich wie ein Tugendbold.
Niemand wußte es, aber vielleicht war die neue Generation ja bereits unterwegs. Die Vorstellung, daß Victoria mit seinem Kind runden und reifen würde, ließ ihn zufrieden erschaudern.
Erneut runzelte Lucas die Stirn bei der Vorstellung, daß sie einen so schweren Gegenstand vor die Tür geschoben hatte. Er konnte ihr so etwas nicht gestatten, jetzt, wo sie vielleicht schwanger war. Sie gehörte ihm, und er würde sich um sie kümmern, ob sie es wollte oder nicht.
Doch zunächst mußte er einen Weg finden, ihre starre Abwehr zu durchbrechen. Lucas dachte an die Kakteen in Lady Nettleships Garten und lächelte. Dann ging er zum Kleiderschrank und ergriff ein Hemd und ein Paar Reithosen.
Victoria entdeckte ihn in dem Augenblick, als er auf dem Sims vor ihrem Fenster erschien; ein dunkler, drohender, männlicher Schatten im silbernen Mondlicht. Dies war kein Alptraum. Sie wußte jetzt, daß sie auf ihn gewartet hatte.
Es war klar, daß er sich nicht von einer solchen Kleinigkeit wie ihrem Ankleidetisch vor der Verbindungstür aufhalten ließ. Sie setzte sich auf und umschlang ihre Knie, als die dunkle Gestalt das Fenster öffnete und ihr Schlafgemach betrat. Er war vollständig bekleidet.
»Ah, es war also der Ankleidetisch«, bemerkte Lucas mit einem Blick zur Verbindungstür. »Du solltest wirklich keine schweren Gegenstände herumschieben, meine Liebe. Bitte nächstes Mal jemanden um Hilfe.«
»Wird es ein nächstes Mal geben?« fragte sie sanft. Sie war sich der Herausforderung bewußt.
»Wahrscheinlich.« Er schritt zum Fuß ihres Bettes. »Ich fürchte, es ist unser Schicksal, gelegentlich zu streiten, meine
Süße. Angesichts deiner Leichtsinnigkeit und meiner bedauerlich langweiligen und schwerfälligen Art ist das wohl unvermeidlich.«
»Ich würde dich nicht unbedingt als langweilig und schwerfällig bezeichnen, Lucas. Ich denke, Begriffe wie arrogant, herrschsüchtig und stur passen besser.«
»Und tugendhaft?«
»Ich bedaure, es sagen zu müssen, aber ja, die Beschreibung tugendhaft paßt allmählich hervorragend zu dir.«
Er umklammerte einen der Bettpfosten und lächelte traurig. »Natürlich erleichtert es mich, daß du eigentlich gar nicht allzu schlecht von mir denkst.«
Sie versteifte sich. »Lucas, wenn du auch nur einen Augenblick denkst, daß du dich mitten in der Nacht hier hereinschleichen und deine Rechte als Ehemann einfordern kannst, dann irrst du dich. Wenn du versuchst, in dieses Bett zu steigen, werde ich das ganze Haus zusammenschreien.«
»Das bezweifle ich. Du würdest weder mich noch dich selbst derart vor den Bediensteten erniedrigen wollen. Außerdem siehst du die Dinge vollkommen falsch, wenn du denkst, ich wäre so verrückt, deine schlechte Laune so behandeln zu wollen. Aber ich habe dir ja bereits gesagt, daß du die Angewohnheit hast, mich zu unterschätzen.«
Sie sah ihn mit größter Wachsamkeit an. »Was hast du vor?«
Er wandte sich von ihr ab und sah über die Schulter zu der Stelle, an der die offenen Vorhänge in der Nachtluft wehten. »Die Nacht ruft, und du bist diesem Ruf bisher immer gefolgt. Bist du jemals um Mitternacht
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