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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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schnappt sie euch!«
    Ziemlich schnell bedrängte mich die halbe Mannschaft von allen Seiten. Doch ich bewegte mich mit dem Ball auf eine geradezu übernatürliche Art, dribbelte in eine Richtung, um der Verteidigerin auszuweichen, und lief dann in großem Bogen an drei weiteren vorbei. Ich spielte geradezu mit ihnen. Bis ich schließlich die ganze Mannschaft und sogar die Trainer – gedrungene Typen mit Beinen wie Hydranten – gegen mich aufgebracht hatte und alle brüllend und fluchend auf mich zurannten.
    Ich stürmte einfach zwischen ihnen hindurch, und sobald ich das Tor im Blick hatte, holte ich mit dem Bein aus und gab dem Ball einen solchen Drive, dass die Torhüterin bei dem Versuch, ihn zu halten, waagerecht durch die Luft flog. Zu spät . Er landete im Netz und ich sprang über den Zaun und war verschwunden.
    Jeglicher Lebenswille war mir abhandengekommen. Im Ernst. Weil es vorbei war. Nichts würde dieses Gefühl für mich zurückbringen können. Selbst wenn ich Moreau umbrachte, nach Hause zurückkehrte und wieder zur Schule ginge – das, was ich am besten konnte, meine größte Leidenschaft, die mir alles bedeutete, würde für mich nicht mehr möglich sein. Nie mehr .
    Als ich mir meiner besonderen Fähigkeiten zu Beginn bewusst geworden war, hatte ich mich für eine Göttin gehalten. Doch jetzt war ich schlauer. Ich hatte alles verloren und ich war keine Göttin, sondern ein Freak. Und wer wollte sich schon mit einem Freak abgeben, wenn nicht ein anderer Freak? Ich war isolierter als die soleils , denn ich hing zwischen zwei Welten, hatte einen Fuß in jeder von beiden, aber gehörte zu keiner ganz.
    Noch nie hatte ich mich so einsam gefühlt.
    Am Nachmittag aß ich ein Stück Pizza, das jemand auf einem Tisch in einem kleinen Einkaufszentrum liegen gelassen hatte. Käse aß ich in jenen Tagen auf jeden Fall genug. Eine Frau, die dort sauber machte, beobachtete mich misstrauisch, sagte aber nichts. Kauend versuchte ich mir ein Leben nach Moreau vorzustellen, ein Leben, in dem ich mich nicht mehr verstecken musste. Vielleicht würde ich Sagan davon überzeugen können, mit mir zu kommen. Wir würden irgendwo hingehen, wovon ich schon immer geträumt hatte. Europa. Südamerika. Irgendeine Insel. Ich würde meinen Zustand so lange wie möglich geheim halten müssen. Würde ich jemals irgendwo sicher sein, wenn andere Vampire – die perdus  – je von meinen besonderen Fähigkeiten erführen?
    Ich träumte von einem Ort, an dem ich mit Sagan leben könnte, einem kühlen, waldigen und nahezu menschenleeren Ort … so wie Prince Edward Island vor der Ostküste Kanadas. Spielte dort nicht Anne auf Green Gables? Vielleicht waren dort heutzutage aber auch viel zu viele Touristen. Wie wäre es mit einer eigenen Insel vor der Küste von Maine? Ein großes Haus würden wir nicht brauchen, eine kleine Hütte würde vollends genügen. Ich wette, ein Vampir kann so etwas in null Komma nichts zusammenzimmern. In dem Fall würde ich allerdings Sagan aufklären müssen, was ohnehin früher oder später anstand. Natürlich würde er sich wundern, warum ich nicht älter wurde.
    Ich versuchte mir auch ein Leben vorzustellen, wie die soleils es seit Jahrhunderten führten: verstecken, stehlen und schlückchenweise Blut von Fremden trinken. Zu gern wollte ich ihnen helfen. Ich wollte, dass Sagan half. Aber wie sollte ich ihm sagen, wer ich war?
    Vielleicht könnten uns die soleils dort oben am Meer besuchen. Sicher, und dann würden wir alle gemeinsam Holz hacken, Kaninchen das Fell abziehen und auf die Heilung warten. Stopp, das reicht.
    Später an diesem Nachmittag summte mein Funkgerät und riss mich aus der trüben Stimmung. Für Sagan war es eigentlich noch zu früh, dennoch drückte ich erfreut auf den Knopf.
    »Heute schwänze ich die Arbeit«, teilte er mir mit. »Treffen wir uns um 18 Uhr am Observatorium? Ich habe etwas mit dir vor.«
    Ich verbrachte einige Zeit damit, mich fertig zu machen, doch danach schienen die Minuten bis zu unserer Verabredung zu kriechen. Sosehr es mir in den Füßen juckte, ich zwang mich gemächlich zum Observatorium zu gehen, damit ich so sauber und ordentlich wie möglich dort ankam. Keine Ahnung zu haben, was er wohl mit mir vorhaben mochte, empfand ich als aufregend und beunruhigend zugleich.
    Als ich die Scheinwerfer des Jeeps die lange Auffahrt heraufkommen sah, schlug mir das Herz bis zum Hals.
    »Steig ein«, sagte Sagan, küsste mich auf die Wange und hielt mir die

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