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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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gefüllt – alle anderen schauten sich die Zombies auf dem Mond an. Die meisten Zuschauerinnen bei diesem Film waren so alt wie meine Mutter. Ich fragte mich, was sie wohl dachten, als Sagan mich über das Popcorn hinweg küsste. Dann tat er es noch einmal.
    Danach dachte ich an niemand anderen mehr. Nicht einmal mehr an Vampire. Es gab nur noch uns: ein Junge und ein Mädchen in einem dunklen Raum.
    Als wir das Kino verließen, waren nicht mehr so viele Leute unterwegs. Ein zottelig aussehender Mann mit Gitarre und einem kleinen Verstärker spielte vor einem Springbrunnen Popklassiker. Wir suchten uns eine Stelle, von der aus man ihn hören, sich aber noch gut unterhalten konnte. Ich hätte ihn natürlich auch vom Parkplatz aus noch gut hören können.
    »Du hältst mich wahrscheinlich für verrückt«, sagte ich und leckte an meinem Eis.
    Sagan lächelte und küsste mich auf die Schläfe. Seine Lippen waren kalt vom Schokoladeneis. Sanft schob ich ihn weg und sah ihm tief in die Augen. Er blinzelte als Erster.
    »Für verrückt halte ich dich nicht«, antwortete er. »Du bist anders. Und anders ist gut.«
    »Aber vielleicht bin ich gar nicht anders«, führte ich den Gedanken fort. »Vielleicht bin ich wie alle anderen auch … nur dass etwas mit mir geschehen ist. Etwas, worauf ich keinen Einfluss hatte und das mich verändert hat. So sehr verändert, dass es niemand glaubt.«
    »Okay«, sagte Sagan. »Darf ich raten, worin diese Veränderung besteht?«
    »Wenn du willst. Aber du errätst es nie.«
    »Hmmmm … du hast eine rätselhafte neue Krankheit, von der noch niemand gehört hat und die in einem staatlichen Labor entstanden ist.« Er blickte auf die zusammengeknüllte Serviette in meiner Hand. »Wahrscheinlich habe ich mich gerade angesteckt, ohne es zu wissen.«
    Ich lachte. »Nächster Versuch.«
    »Lass mich überlegen. Ein genetisches Experiment zur Verbesserung des Menschen. Sie haben versucht diese perfekte Spezies zu züchten …«
    »Perfekt? Ich bitte dich.«
    »Weibliche DNA gemischt mit … Mir fällt kein passendes Tier ein. Gepard vielleicht, aber wo sind deine Flecken? Nein, mit den Flecken, das ist der Leopard, oder?«
    Ich kicherte. »Oder ein Dalmatiner. Nein, nicht einmal lauwarm.«
    »Du machst mich fertig.«
    »Das wäre nicht das erste Mal«, sagte ich und legte den Kopf auf seine Schulter. »Wie wäre es mit folgendem Deal: Wenn du mich damit nicht zu Tode löcherst, verspreche ich dir, dass ich es dir sagen werde. Bald.«
    »Wie bald?«
    »Das weiß ich nicht. Es hängt … von vielen Dingen ab.« Ob ich am Leben bleibe beispielsweise.
    »Warum hast du gerade so ernst geschaut?«, wollte er wissen.
    Ich wandte mich ab. »Tut mir leid.«
    Er legte einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an. »He, ist schon okay. Alles wird gut. Ich weiß etwas. Verrat mir ein Geheimnis, von dem niemand sonst weiß. Nicht das Geheimnis.«
    Ich blickte in die Ferne. Bis vor Kurzem war ich immer gegen Geheimnisse gewesen.
    »Okay. Solange ich denken kann, ist mir der Gedanke immer unglaublich wichtig gewesen, dass das Leben eigentlich interessanter sein könnte, als mein Leben es war. Weißt du, was ich meine?«
    Sagan nickte.
    »Deshalb habe ich Geschichte immer so gemocht. Für mich ist Geschichte eine Art Beweis, wie das Leben wirklich sein kann. Findest du das albern?«
    »Nein.«
    Jemand hörte dem zotteligen Gitarristen inzwischen tatsächlich bewusst zu. Ein kleiner, kräftig gebauter Mann mit einem kleinen Hut, der kaum auf seinen massiven Kopf passte.
    »Wenn man genauer darüber nachdenkt, haben wir mehr gemeinsam, als du glaubst«, stellte Sagan fest. Er hielt meine Hand. »Sterne … einige von ihnen sind bereits abgestorben, wenn wir sie zu sehen bekommen. Wir wollen beide an Orten sein, die es nicht mehr gibt.«
    »Außer dass es bei mir Menschen gibt.«
    »Jetzt verdirb nicht die Stimmung.« Er deutete in den Himmel. »Auf dem Stern dort – vielleicht hat es dort einmal Leben gegeben? Vielleicht waren sie wie wir. Nur eine Billion Kilometer entfernt und vor einer Million Jahren.«
    »Du denkst zu viel«, sagte ich. »Aber das gefällt mir.«
    »Wir beide wollen sein, wo wir nicht hinkönnen, weil es unmöglich ist«, sagte er. »Warum, glaubst du, ist das so? Warum wollen wir nicht hier sein?«
    Ich schmiegte mich an ihn. »Ich weiß es nicht. Im Moment jedenfalls glaube ich nicht, dass es überhaupt einen anderen Ort gibt.«

20
    Fallen
    Zurück auf dem Parkplatz lehnte

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