Verletzlich
Treppe hinauf zu einer Art Galerie, von der die Wohnungstüren abgingen. Ich versuchte die Nummer des Appartements zu erkennen, aber der Mann stand davor. Ja. Drinnen. Ja . Ich wartete, bis der Kerl den Schlüssel ins Schloss gesteckt und die Tür aufgedrückt hatte. Dann sprang ich ebenfalls auf den Absatz und schlich mich hinter ihm hinein. Mit einer schnellen Handbewegung schloss ich die Tür hinter meinem Rücken.
Als sich der Jogger umdrehte und mich sah, begann er zu schreien. Zuerst glaubte ich, er würde auf mich losgehen, doch dann wich er zurück und hielt sich eine Hand vor den Mund. Den Schrecken, den er empfinden musste, fühlte ich mit ihm. Der Jogger versuchte ins Schlafzimmer im hinteren Teil der Wohnung zu fliehen, doch ich hatte ihn am Nacken gepackt, bevor er auch nur halb das Wohnzimmer durchquert hatte. Ich warf ihn auf die Couch.
»Was … was willst du?«, stammelte er vor Angst zitternd.
»Dazu kommen wir gleich. Zuerst brauche ich deinen Schlüssel.«
»Meinen Schlüssel? Mann, warum brauchst du meinen Schlüssel? Bitte tu mir nichts. Du kriegst von mir, was immer du willst, aber bitte …«
»Deinen Schlüssel«, sagte ich.
Er streckte den Arm aus. Mir fiel es schwer, mit anzusehen, wie er jetzt fast in die Wand kroch und mich dabei anstarrte – mich, die Person, die ihm sehr wohl etwas antun würde.
»Ich … ich habe ihn auf den Tisch geworfen, Mann. Dort drüben auf dem Tisch liegt er.« Zitternd zeigte er in die Richtung und ich begab mich dorthin, um den Schlüssel an mich zu nehmen. Dann ließ ich mir von dem armen Kerl zeigen, welcher der richtige für die Wohnungstür war. Ich schubste mein Opfer, trieb es an.
»Auf den Boden.«
Der Jogger versuchte sich neben dem Sofa aufzurichten. Ich schubste ihn auf den schäbigen, braunen Teppich zurück. Wie er dort mit seinen knappen Shorts und schweißglänzender Brust auf dem Boden lag und mit einem Arm um Erbarmen bettelte, sah er einfach nur lächerlich aus. Ich versetzte dem Mann einen Tritt, der ihn bis in die Küche katapultierte.
Ich will ihn in der Küche haben, weil …
Gierig fiel ich über den Jogger her und riss ihm die Kehle auf. Der junge Mann brüllte, doch seine Stimme ebbte schnell zu einem widerwärtigen Gurgeln ab.
Ich begann zu trinken.
Ich will ihn in der Küche haben, weil man dort besser aufwischen kann.
Wieder stürzte ich in die Finsternis. Doch dieses Mal bot die Leere kein Wohlbefinden, sondern nur Schmerz. Ich glitt in meinen eigenen Tod. Ich war der Mann, der auf dem Küchenfußboden lag und dunkles Blut auf den hellen Boden spuckte. Ich wollte er sein. Weil ich nicht Moreau sein wollte. Nie wieder. Dafür nahm ich auch meinen Tod in Kauf.
Doch die erhoffte Erleichterung blieb aus. Nur Schmerzen und noch mehr Schmerzen und Fallen. Im Fallen schien alles an mir zu hängen … als wäre ich durch die Hülle des Universums geplatzt und würde es mit mir in die Tiefe reißen.
Selbst im Fallen befand ich mich noch in dem Vampir. Ich ließ von dem Jogger ab. Das warme Blut lief mir noch übers Kinn, während ich durch den Flur in eins der Schlafzimmer ging und begann, die Fenster mit Decken zu verhängen.
»Fang sie auf! Fang sie auf!«
Jemand ganz in meiner Nähe schrie diese Worte und ich merkte, wie ich aus Moreaus Körper herausglitt und wieder in meinen eigenen schlüpfte.
Ich schlug die Augen auf. Die soleils standen noch immer um mich herum, aber sie wirkten abwesend, wie in Trance.
Ich kippte vornüber.
Sagan drängte sich durch die drei Vampire hindurch, gerade rechtzeitig, dass ich ihm an die Brust fallen konnte. Er drückte mich an sich.
»He, alles in Ordnung?«
Für eine Weile konnte ich nicht sprechen und hing nur benommen an ihm. Doch dann kehrten die Worte zurück und ich schrie: »Ich weiß, wo er ist! Ich weiß, wo Moreau ist! Wir waren dort! Sagan, weißt du, was das bedeutet? Sobald die Sonne aufgeht, gehen wir dorthin. Eine bessere Gelegenheit werden wir nicht bekommen. Wir können ihn im Schlaf umbringen. Wir töten ihn im Schlaf …«
Die drei soleils starrten mich an.
»Was ist los?«
»Sobald die Sonne aufgeht?«, stammelte Anton. »Du hast gesagt, du willst dorthin gehen, sobald die Sonne aufgeht.«
»Ich wusste, dass mit ihr etwas nicht stimmt«, triumphierte Donne mit harter Miene. »Ich wusste es.«
»Erst einmal muss ich mich setzen«, sagte ich und suchte mir einen Platz an der Mauer.
Donne folgte mir.
»Und wann wolltest du uns das erzählen? Findest
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