Verletzlich
einen Blick auf das Geländer und die darangeknotete Nylonschnur.
Als der perdu auf mich zukam, griff ich nach der Schnur und zog fest daran. Das Ende flog hoch in die Luft und ich fing es auf. Was?
Die Schnur war durchtrennt worden.
»Suchst du etwas, guepe? «, fragte eine Stimme hinter mir.
Ich wirbelte herum. Am anderen Ende der Abschussrampe stand der Vampir, den ich mit dem Sandstrahler bearbeitet hatte und der danach übers Geländer geflogen war. Sein Gesicht war wund und seine Augen blutunterlaufen. Er hielt die qualmende Kettensäge in den Händen. Und ich saß fest.
Ich zog die Axt aus dem Gürtel und versuchte furchtlos auszusehen. Ich beobachtete den perdu mit der Kettensäge, der dem riesenhaften Vampir nickend ein Zeichen gab.
»Halt dich bereit sie dir zu schnappen, George«, sagte er. »Ich habe ihr den Giftzahn gezogen. Sie kommt in deine Richtung.«
Der Riese, der George hieß, sagte nichts, sondern stand nur da und hielt das Rohr fast liebevoll im Arm. Der dunkelhäutige Vampir sah jetzt wieder zu mir und leckte sich über die aufgesprungenen Lippen. Er machte einige Schritte auf mich zu und ließ die Kettensäge ein paar Mal aufheulen. Bläulicher Ölqualm wurde in die Luft geblasen.
»Wie ich höre, hast du Sonnenlicht in den Adern«, sagte der perdu . »Ich glaube, ich sollte dich aufsägen, um mehr darüber herauszufinden.«
Es war wie in einem irren Traum. Ich befand mich in einem Käfig aus dicken Stahlstreben. Wenn sie beschlossen auf mich loszugehen, würde ich keine Chance haben. Bis ich auch nur auf das Geländer geklettert wäre, um zu springen, würde der Vampir mit der Kettensäge längst bei mir sein … Und dann … der Gedanke war allzu grausam.
Mir wurde schwindelig. Nein, nicht jetzt, nein! Mein Kopf …
Die Vorstellung, jetzt einen Anfall zu bekommen, versetzte mich in Panik. Ich holte tief Luft. Beide Vampire machten einige Schritte auf mich zu. Sie bewegten sich langsam und bedächtig.
Bedächtig. Ich hatte einen Flashback. Dieses Gefühl kannte ich. Woher?
Ja. Ja!
Den perdus war doch so sehr an Respekt und einem ehrbaren Tod gelegen. Ich bückte mich und legte die Axt vor mir ab wie eine Art Opfergabe.
Die Vampire tauschten Blicke und überlegten offensichtlich, was ich vorhatte. Ich bemühte mich um eine feste Stimme.
»Was ist los?«, fragte ich. »Ich dachte, die perdus wären große Krieger. Kämpfer. Die vor nichts zurückschrecken. Und nun fürchtet ihr euch vor mir? Einer Mademoiselle? Einem Mädchen? Warum geht ihr nicht runter und besorgt jemanden, der sich nicht so fürchtet?«
Anstatt zu warten, dass sie sich in Bewegung setzten, tat ich es selbst. Ich rannte direkt auf den Vampir George zu. Hinter mir hörte ich das Kreischen der Kettensäge. George kam mir mit erhobenem Stahlrohr entgegen, um mir den Schädel einzuschlagen.
Im letzten Moment, kurz bevor wir zusammengeprallt wären, ließ ich mich fallen und schlitterte mit der übelsten Grätsche der Fußballgeschichte in ihn hinein. Mit den Füßen voraus rutschte ich auf dem Hintern über den Stahlboden der Abschussrampe.
Meine Trekkingschuhe trafen Georges Knöchel. Dem riesenhaften Vampir wurden die Füße weggerissen und sein massiger Körper kippte nach vorn. Der Länge nach stürzte er über mich, während ich noch immer vorwärtsglitt.
Mit einer Drehung des Körpers beendete ich die Rutschpartie – gerade rechtzeitig, um den perdu mit der Kettensäge zu sehen, der von hinten kam …
… und nicht anhalten konnte …
George schrie. Die kreisende Kettensäge traf ihn am Kopf und fräste sich seinen Arm hinunter bis zum Ellenbogen. Ich hörte die Säge nicht nur, ich spürte sie auch – das Kreischen, als sich die Kette tief durch Muskeln, Fleisch und Sehnen fraß. Den Knochen schien sie nur kurz berührt zu haben, dann fiel der Unterarm des Vampirs bereits auf den Boden. Das Rohr, das er in der Hand gehalten hatte, rutschte ihm aus den absterbenden Fingern, die sich spasmisch immer wieder zusammenzogen.
Blut spritzte aus Georges Armstumpf ins Gesicht des anderen Vampirs.
Er bekam sogar Blut in den Mund und sein Blick schickte einen kalten Schauer durch meinen ganzen Körper. Er brüllte etwas, was ich nicht verstand, ließ die Kettensäge fallen und hechtete …
Ich sprang auf … aber der perdu hatte es nicht auf mich abgesehen, sondern auf George. Er griff nach dem Armstumpf des riesenhaften Vampirs … hob ihn sich an den Mund … und begann gierig das warme,
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