Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
bedeutet mir sehr viel, dass du das sagst.«
Er lächelt. Ihre Blicke begegnen sich, und sie hätte ihn sicher umarmt, wäre da nicht der Tisch zwischen ihnen. Außerdem fürchtet sie, dass sie die Tränen dann nicht mehr zurückhalten kann.
»Also gut«, sagt er. »Dann lass ich dich mal wieder in Ruhe.«
Sie sieht ihm nach und ist wieder allein mit sich und der Stille, die in der Hektik des Alltags sonst ihr Freund ist.
Sie greift nach dem Telefonhörer und wählt eine hausinterne Nummer.
Nicht einmal eine Minute später ist Katarina Hatlem da.
»Was ist?«, fragt sie, als sie die Tür hinter sich schließt. »Wie geht’s dir?«
»Ich schaffe das nicht allein«, sagt Trine. »Du musst mir helfen.«
15
Emilie Blomvik spürt es im ganzen Körper. Es ist fast wie damals in der Schule, wenn sie eine Arbeit zurückbekommen hat, von der sie wusste, dass sie gut war. Dieses erwartungsvolle, nervöse Ziehen im Bauch. Wie es Mattis heute wohl geht?
Ehe er am Freitag ins Wochenende gegangen ist, haben seine Chefs im Büro gesagt, dass sie ihn gerne am Montagmorgen zu einer Besprechung sehen würden. In letzter Zeit sei es sehr gut gelaufen, mehr haben sie nicht gesagt. Emilie hat ihn im Laufe des Wochenendes mehrmals gefragt, was sie seiner Meinung nach von ihm wollen könnten. Und obgleich er nur mit den Schultern gezuckt und »Ich weiß auch nicht« gesagt hat, konnte sie ihm ansehen, was er dachte. An dem Lächeln, das seine Mundwinkel umspielte, auch wenn er sich bemühte, es zu unterdrücken.
Ob sie ihm anbieten, als Partner in die Firma einzusteigen?
Emilie ist sich nicht ganz sicher, welche Konsequenzen das haben wird, aber sie ist davon überzeugt, dass es gut ist und auf bessere Zeiten hoffen lässt.
Bessere Urlaube.
Alles besser.
Als Mattis zur Arbeit aufgebrochen ist, hat er ihr versprochen, sich zu melden, sobald das Treffen mit den Chefs vorbei ist. Jetzt dürfte es eigentlich nicht mehr lange dauern, bis er anruft.
Emilie muss lächeln, als sie daran denkt, wie sie Mattis kennengelernt hat. Er trat an ihren Check-in-Schalter in Gardermoen und fragte sie, ob sie schon mal Rentiere gejagt hätte. Emilie war völlig überrumpelt von der unerwarteten Frage und antwortete nicht gleich, woraufhin er nachlegte: »Hätten Sie Lust, es mal auszuprobieren?«
Sie hat im Laufe der Jahre schon viele Anmachsprüche gehört, aber Rentiere sind darin nie vorgekommen. Die Vorstellung, einfach aufzustehen, alles hinter sich zu lassen und mit einem völlig fremden Mann an einen unbekannten Ort zu verreisen, hat sie gereizt.
Er ist sehr männlich, wenn auch eher dünn, und sieht auch nicht sonderlich gut oder cool aus, aber Emilie hat sich noch nie von Filmstartypen angezogen gefühlt. Und sie konnte sich damals gut vorstellen, um wie viel männlicher er mit einer Jagdwaffe in der Hand aussehen würde. Wäre sie damals zehn Jahre jünger gewesen, hätte sie sein Angebot möglicherweise angenommen.
Als er das nächste Mal für einen Flug eincheckte, erkannte sie ihn gleich wieder. Er wartete so lange, bis ihr Schalter frei wurde. In ihrem Bauch und in ihrer Brust begann es zu kribbeln, und ihr wurde warm. Die Selbstsicherheit, mit der er sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, nach seiner Rückkehr einen Kaffee oder ein Bier mit ihm trinken zu gehen, beeindruckte sie. Oder lieber einen Strawberry Daiquiri?
Vielleicht war es Zufall, aber zu der Zeit war Strawberry Daiquiri tatsächlich ihr Lieblingsgetränk. Und als er sie einen Monat später anrief, gingen sie ein, zwei, drei zusammen trinken. Mittlerweile leben sie seit drei Jahren zusammen und sind seit zweieinhalb Jahren Eltern. Es geht ihnen gut, das kann sie nicht anders sagen.
Aber ist er wirklich Mr. Right?
Mattis ist lieb, witzig, gesellig. Und er ist ein toller Vater für Sebastian – sofern er zu Hause ist. Er versteht sich gut mit Emilies Mutter und mit ihren Freunden, und er behauptet sogar, sich in Jessheim wohlzufühlen. Trotzdem kommt es ihr ab und zu so vor, als lebten sie auf zwei unterschiedlichen Planeten. Zwei Wochen im Jahr fährt er auf die Jagd in die Finnmarksvidda. Im Sommer geht er mit seinen Kumpeln auf Rockfestivals, während sie viel lieber all inclusive in die Sonne fliegen würde. Sie verbringen nur noch wenig Zeit miteinander. Er hat seinen Job in Oslo, sie ihren am Flughafen.
Eigentlich hat Emilie sich vorgestellt, dass ein Leben als Familie aus mehr besteht als bloß aus Logistik und Alltagsbewältigung. In letzter Zeit
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