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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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gern berühren würde.
    Vor eingeschalteten Mikrofonen wirkt sie ernst, ganz wie es von ihr erwartet wird. Aber kaum sind die Lämpchen der Kameras ausgeschaltet, legt auch sie den Schalter um. Dann kommen ihre klugen und pointierten Kommentare wie aus der Pistole geschossen. Sie verfügt über einen professionellen Scharfblick, der sie bislang selten, nein, nie in irgendwelchen Debatten im Stich gelassen hat.
    Henning sieht etwas in ihren Augen, nicht oft, aber hin und wieder, wenn die Arbeitsmaske gerade nicht allzu fest sitzt. Es ist zwar schon eine Weile her, dass er die Zuneigung einer Frau oder ein Interesse an ihm als Mann gespürt hat, aber er ist schließlich nicht blind. Und auch nicht taub. Oft ist da eine Sanftheit in ihrer Stimme, wenn sie mit ihm spricht, selbst in Anwesenheit anderer Journalisten oder Polizisten.
    Zugleich erinnert sich Henning aber auch sehr genau an Pias knapper werdende Antworten, je eindringlicher seine Fragen zum Stand der polizeilichen Ermittlungen im Mordfall Tore Pulli werden. Anfangs hat er das auf Arbeitsstress geschoben oder darauf, dass sie möglicherweise keine Lust hat, auf die Fragen eines Menschen zu antworten, der ihrer Ermittlungsarbeit gegenüber kritisch eingestellt ist. Aber seit Henning weiß, dass Pia in Indicia, einer Polizeidatenbank, einen Bericht manipuliert hat, aus dem hervorgeht, dass Tore Pulli sich an dem Abend, als es in Hennings Wohnung brannte, vor seinem Wohnblock aufgehalten hat, reizt ihn der Gedanke, dass ihre knappen, nüchternen Antworten vielleicht eine ganz andere Ursache haben.
    Henning weiß aus dem Indicia-Bericht einzig, dass Tore Pulli am 11. September 2007 wie schon an diversen Tagen zuvor in einem Auto am Markveien 32 saß – vor Hennings Haus. Was suchte er dort? Wartete er auf jemanden? Wollte er sich jemanden vorknöpfen? Immerhin war er einer von Oslos gefürchtetsten Geldeintreibern. Oder hat er einfach nur jemanden observiert?
    Henning hat sich diese Fragen in den letzten Wochen immer wieder gestellt. Pulli hatte Henning aus dem Gefängnis heraus kontaktiert, weil er ihm etwas erzählen wollte, das mit Jonas’ Tod zusammenhing. Aber bevor es zu einem Treffen kam, wurde Pulli ermordet. Wegen der Sache, von der er Henning erzählen wollte? Was stand ursprünglich in dem Indicia-Bericht? Und wem hätten diese Informationen schaden können außer Pia Nøkleby selbst?
    Henning hätte sie am liebsten umgehend mit seinem Wissen konfrontiert, besann sich dann aber eines Besseren und beschloss, seine Quelle zu schützen und anders an die Sache heranzugehen.
    Pia bleibt auf der vierten Stufe von unten stehen und lässt den Blick über die Versammlung schweifen. Fernsehscheinwerfer werden eingeschaltet, Mikrofone ausgerichtet, Handys auf Aufnahme gestellt.
    Henning weiß, dass nicht mehr bekannt gegeben wird als das, was er längst vermeldet hat. Wahrscheinlich werden sie ein Bild des Opfers freigeben, ein paar Hintergrundinformationen liefern und bestätigen, was heute früh schon publiziert wurde. Aber Pia wird keine Silbe darüber verlieren, wie genau die Misshandlung ausgesehen hat. Sie wird sagen, dass die Polizei in alle Richtungen ermittle, technisch ebenso wie taktisch, und bereits konkrete Spuren verfolge. Was für Spuren das sind, wird sie nicht preisgeben.
    Henning ist hauptsächlich da, um zu sehen, wie sie auftritt und ob in ihren Augen irgendetwas abzulesen ist. Er versucht, ihren Blick einzufangen, aber der gleitet über sie alle hinweg.
    Als sie fertig ist und die Pressekonferenz beendet, schickt Henning ihr eine SMS , in der er sie freundlich um ein Gespräch unter vier Augen bittet. Während er auf Antwort wartet, setzt er sich auf eine Bank vor dem Polizeipräsidium mit Aussicht auf das Osloer Gefängnis. In der Regel treffen sie sich hier. Es kommt zwar auch vor, dass sie ihn zu sich in ihr Büro einlädt, aber nur wenn sie Informationen hat, die sie gerne in den Medien veröffentlicht sehen möchte.
    Während er mit dem Handy in der Hand dasitzt und auf ihre Antwort wartet, rauscht das Osloer Leben auf der Straße an ihm vorüber. Der Himmel ist so unruhig wie zu schnell abgespielte Satellitenbilder. Er fragt sich, wie lange es wohl dauern wird, bis eine neue, gigantische Regenfront sich über Oslo ergießt.
    Er denkt an den Mord an Erna Pedersen. Bei so vielen potenziellen Zeugen ist es merkwürdig, dass niemand etwas gesehen hat. Andererseits sind fast alle Patienten auf Station 4 mehr oder weniger dement, sodass sie

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