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Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)

Titel: Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Henning sieht sie direkt an. »Das wär mal was.«
    Nøkleby antwortet nicht sofort. »Ich kann mir vorstellen«, sagt sie schließlich, »dass das der feuchte Traum eines jeden Journalisten ist.«
    »H-hm.«
    Henning hat sich erhofft, ein Flackern in ihrem Blick zu sehen, als er Indicia erwähnt, aber er hat keine Veränderung in ihrer Mimik erkennen können. Kein nervöses Flattern der Augenlider. Nicht einmal ein Zucken im Mundwinkel. Wahrscheinlich erwartet er zu viel. Pia ist schon einige Jahre bei der Polizei, sie ist es gewohnt, Geheimnisse für sich zu behalten, gewohnt, vor den Medien zu schauspielern.
    Aber könnte sie ihm gegenüber etwas verbergen?
    »Wie ist das eigentlich … Könnte man sich theoretisch von außerhalb der Polizei in Indicia einloggen?«
    Nøkleby dreht sich zu ihm um. »Wie meinen Sie das?«
    »Könnte ich mich zum Beispiel mit Ihrem Nutzernamen und Ihrem Passwort bei Indicia einloggen? Von extern?«
    Nøklebys Mundwinkel wandern nach oben, aber sie zögert die Antwort etwas hinaus. »Sie machen mir aber jetzt nicht gleich ein unmoralisches Angebot, oder?«
    »Sie sollten mich besser kennen, Pia.«
    Ihr Gesicht hat sich leicht verfinstert, der Blick ist wachsamer.
    »Aber könnte ich das? Rein hypothetisch?«
    Nøkleby antwortet nicht. Sieht ihn aber an mit unergründlichem Blick. »Ich dachte, Sie wollten mit mir über den Mord an Erna Pedersen sprechen.«
    »Das auch.«
    Nøkleby mustert ihn jetzt so eindringlich, dass seine Haut prickelt.
    »Die Funktionalität eines Programmes wie Indicia teilen wir nicht mit der Öffentlichkeit, Henning. Auch nicht mit Journalisten, und wenn sie einen noch so guten Draht zur Polizei haben.«
    »Schade«, sagt er und lächelt.
    »Warum fragen Sie mich das überhaupt?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Ich bin einfach nur neugierig.«
    »Ach«, sagt sie, und ihr Tonfall ist sarkastisch. »So gar kein Hintergedanke – und das soll ich Ihnen glauben?«
    Genau, denkt Henning und wartet einen Moment, ehe er antwortet und schon jetzt prophylaktisch die Hände zu einer abwehrenden Geste erhebt. »Keine Regel ohne Ausnahme.« Er hofft, ihre Skepsis fortwischen zu können.
    Vergebens.
    »Wenn sonst nichts mehr ist, würde ich …« Nøkleby erhebt sich.
    »Doch, da gäbe es noch etwas.«
    Die Polizeichefin bleibt stehen, sieht auf ihn hinab.
    »Wie weit zurück in die Vergangenheit gehen Sie, um das Motiv für den Rachemord an Erna Pedersen zu finden?«
    Nøkleby sieht ihn an. Schüttelt fast unmerklich den Kopf.
    Dann geht sie.
    17
    Bjarne hat gerade den Fahrstuhl in der dritten Etage des Grünerhjemmet verlassen, als Emil Hagen ihn sieht und ihm signalisiert, stehen zu bleiben.
    Er sieht sich um. Rechter Hand vor ihm liegt das Fernsehzimmer, zu seiner Linken das Schwesternzimmer. Hinter einer großen Glasscheibe sitzt eine Frau, die konzentriert auf einen Bildschirm starrt. Grünes Licht scheint von ihren Brillengläsern wider.
    Emil Hagen, ein junger Kommissar mit kurzen Beinen und braunen, kurz geschorenen Haaren, beendet sein Telefonat, klappt das Handy zu und kommt ihm mit quietschenden Laufschuhsohlen auf dem frisch gebohnerten Boden entgegen. Die Jeans sitzt stramm um seine Schenkel, und die schwarze Lederjacke und das weiße T-Shirt betonen seine Muskeln.
    Er ist vor drei Jahren direkt von der Polizeischule zum Morddezernat gekommen. In Anbetracht seines jugendlichen Eifers und seiner Naivität könnte man meinen, er hätte sich mit dem Polizeiberuf einen Kindheitstraum erfüllt, aber Bjarne weiß inzwischen, dass Hagens Beweggründe anders liegen.
    Hagen stammt aus einem Elternhaus, in dem nie irgendwelche Grenzen gesetzt wurden und Vater und Mutter auch nicht wirklich oft anwesend waren – und wenn, dann waren sie betrunken. Hagen erkannte irgendwann, dass er sich nur auf sich selbst verlassen konnte und sein Leben in die eigenen Hände würde nehmen müssen, wenn er es in diesem Leben zu etwas bringen wollte. Er musste sich in der Schule Mühe geben und auf sich selbst aufpassen. Und er schaffte es. Seine Schwester Lise Merethe hingegen …
    Sie geriet früh an die falschen Freunde, kam angetrunken und viel zu spät nach Hause, und schon im Alter von sechzehn Jahren war sie auf dem besten Wege, zum Junkie zu werden. Hagen verbrachte seine späten Teenagerjahre damit, durch die Straßen Oslos zu laufen und seine zwei Jahre jüngere Schwester vor dem Absturz retten zu wollen. Ohne Erfolg. An einem Herbsttag des Jahres 2005 wurde sie unter einer

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