Verleumdet: Ein Henning-Juul-Roman (German Edition)
Einbruch gemeldet.«
Bjarne sieht seinen Kollegen an, dessen Kiefer noch angespannter aussehen als sonst.
»Es wurde nichts gestohlen, aber sie hat erzählt – wenn ich das richtig verstanden habe –, dass der Einbrecher in ihrer Wohnung Blutspuren hinterlassen hat.«
»Blutspuren?«
»Ja, sie hat einen Blutfleck neben dem Katzenkorb gefunden. Und jemand hat ein Bild zerschlagen, das an der Wand hing.«
»Und das war vor zwei Wochen?«
»Ja.«
»Dasselbe Bild, das da jetzt noch hängt, oder ein anderes?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es war dasselbe. Es kann natürlich sein, dass sie Glas und Rahmen noch nicht gewechselt hat.«
»Dann hätte sie auch die Glassplitter am Boden liegen gelassen.« Bjarne schüttelt den Kopf. »Das bezweifle ich.«
Hagen antwortet nicht. Seine Jacke verströmt den Geruch von nassem Leder.
Wirklich seltsam, denkt Bjarne. Vor zwei Wochen hat jemand in der Wohnung des Opfers ein Bild kaputt gemacht. Und das Gleiche ist heute wieder passiert?
Das ist kein Zufall. Und es zeigt eine Wut, die verdammt tief steckt.
»Wer hat den Fall bearbeitet?«, fragt Bjarne.
Hagen sieht ihn an. »Er ist nicht gerade prioritär behandelt worden. Weil nichts gestohlen wurde. Und verletzt wurde auch niemand.«
»Abgesehen vielleicht von dem Einbrecher.«
»Vielleicht.«
»Und das Blut. Was war damit?«
»Keine Ahnung«, sagt Hagen. »Das ist wohl wie alles andere auch in der Wiedervorlage gelandet.«
Bjarne schüttelt seufzend den Kopf. »Was war das für Blut?«
»Wie meinst du das?«
»Waren es Tropfen oder Spritzer – wie sah es aus?«
»Ein Abdruck, wie wenn man blutet, ohne es zu merken, und dann irgendwo drankommt.«
Die Ermittler bleiben eine Weile nachdenklich im Auto sitzen, während der Regen weiter auf die Scheibe hämmert. Bjarne legt seine Hand an den Türgriff. »Tja«, sagt er. »Dann sollten wir wohl tun, was wir immer tun.«
»Das sollten wir wohl, ja.«
49
Der Herbst ist immer schon Hennings liebste Jahreszeit. Im Sommer heben sich nur die burgunderrote Blutbuche und die strahlend gelben Rapsfelder von dem satten Grün ab. Aber im Herbst nehmen sämtliche Bäume und Büsche Farbe an. Als wäre das Jahr gereift.
Er mag die Farbenpracht, auch wenn sie der Vorbote für dunklere Zeiten ist und die dahinsterbenden Pflanzen eine gewisse Tristesse ausstrahlen. Aber Henning hat der Herbst immer irgendwie glücklich gemacht.
Jetzt saust der Herbst draußen am Autofenster an ihm vorbei. Die Äcker liegen abgemäht und halb tot da. Wie ein leiser Erinnerungshauch an hellere, wärmere Abende.
Die Fahrt von Kløfta nach Stavern hat damals immer zweieinhalb Stunden gedauert. Aber das waren andere Zeiten und andere Autos. Sie hatten den Käfer immer bis unters Dach vollgepackt. Heute würden sie von der Polizei wegen unzulässiger Beladung rausgewinkt werden. Henning erinnert sich daran, wie er zusammengequetscht auf dem Rücksitz hockte und gerade so eben den Haken erreichte, um das Klappfenster zu öffnen und den Rauch rauszulassen.
Ungefähr auf halber Strecke klingelt sein Handy. Es ist Heidi Kjus. Einen Augenblick lang überlegt er, nicht dranzugehen, aber dann nimmt er doch ab. »Hallo, Heidi.«
»Wo bist du?«
Höflichkeitsfloskeln.
»Im Auto unterwegs.«
»In Bislett ist eine Frau ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Ich brauche dich da, sofort.«
»Sorry, aber das dürfte schwierig werden. Ich bin schon auf halber Strecke in …« Er hält inne, will nicht verraten, wohin er unterwegs ist.
»Halbe Strecke wohin?«
»Tønsberg.«
»Was zum Teufel willst du in Tønsberg?«
»Was checken.«
Heidi seufzt schwer in den Hörer. »Wann bist du wieder zurück?«
»Weiß ich nicht. Spät am Abend, hoffe ich.«
Erneuter Seufzer. »Okay.«
Sie legt auf, ohne sich zu verabschieden.
In der nächsten Stunde konzentriert Henning sich ganz auf den Weg. Er muss nur an dem Minigolfplatz vom Campingplatz in Anvikstranda vorbeifahren, den sie früher einmal pro Sommer besuchen durften, und schon sind sie da, die Erinnerungen. Die viel zu kleinen Hände um die viel zu schweren Schläger. Der holprige Weg, der mit den Jahren keinen Deut weniger holprig geworden und der so schmal ist, dass man fast in den Graben ausweichen muss, wenn einem ein anderes Fahrzeug entgegenkommt.
Heute ist das nicht nötig.
Hinter dem Wald öffnet sich eine große grasbewachsene Lichtung. Dort haben sie im Sommer immer Fußball gespielt oder versucht, mit ihren Drachen
Weitere Kostenlose Bücher