Verleumdung
Vorsprung, um unbemerkt zu entkommen.
»Ich arbeite hier.«
»Ich weiß.«
Der Wachmann starrte sie an. Vermutlich war sie ihm an einem der vielen Abende aufgefallen, an denen sie lange arbeitete, weil sie sowieso nichts hatte, für das es sich lohnte, nach Hause zu gehen.
Sie fasste sich an die Stirn und bemerkte, dass sie blutete. Als sie aus dem Büro geschleift worden war, hatte sie sich bei der Kollision mit dem Türrahmen wohl eine Platzwunde an der Augenbraue eingehandelt.
Endlich löste der Wachmann sich aus seiner Erstarrung.
»Ich rufe die Polizei, und Sie müssen sofort in die Notaufnahme.«
»Warten Sie mal kurz.«
Sie nahm das Taschentuch entgegen, das er ihr reichte, und stoppte die Blutung über dem Auge vorübergehend, damit sie zumindest etwas sehen konnte.
»Ich gehe davon aus, dass es hier Überwachungskameras gibt?«
Der Wachmann nickte.
»Dann müssten wir sehen können, wer mich überfallen hat.«
»Es gibt nur an den Eingängen Kameras, also bin ich nicht sicher, ob das so weiterhilft.«
»Er ist mit Hilfe meiner Schlüsselkarte hereingekommen, demnach müsste es ein gutes Porträt geben, wenn wir Glück haben.«
Widerwillig gab der Mann ihrem Drängen nach, sofort zu prüfen, ob er zu den Aufnahmen des heutigen Abends Zugang hatte. Aber nur unter der Voraussetzung, dass sie sofort ins Krankenhaus fuhr, wenn sie die Aufnahmen gesehen hatte. Außerdem versprach sie ihm auch, die Polizei zu rufen.
Es war reiner Zufall gewesen, dass er auf seiner üblichen Runde hier vorbeigekommen war, bei der er mindestens zweimal ihre Etage im Panum durchqueren musste. Da die Alarmanlage nicht angesprungen war, wurde weder die Polizei noch jemand anderer alarmiert. Eigentlich hätte es Linnea ausgezeichnet gepasst, wenn das auch so geblieben wäre, da ja die ganze Misere im Grunde ihre eigene Schuld war. Streng genommen war es nicht erlaubt, mehr als eine Schlüsselkarte zu besitzen, genau aus dem Grund, Situationen wie diese zu vermeiden.
Der Wachmann setzte sich an Linneas Schreibtisch und loggte sich in das Intranet seiner Firma ein, nachdem er mit seinem Call Center konferiert hatte.
Währenddessen durchwühlte Linnea einen Schrank auf dem Flur, bis sie fand, was sie suchte. Dann ging sie in die Damentoilette, wo sie sich im Spiegel betrachtete. Die Wunde über der linken Augenbraue blutete noch immer ziemlich stark, und sie befeuchtete ein Tuch und tupfte einen Großteil des Bluts ab. Die Platzwunde war etwa zwei Zentimeter lang. Der Wachmann hatte völlig recht. Sie sollte in ein Krankenhaus fahren. Aber sie hatte jetzt keine Zeit zu verlieren und wollte so schnell wie möglich die Aufnahmen sehen.
Hastig wusch Linnea die Wunde mit etwas Wasser und Seife aus. Es brannte ein wenig. Anschließend streifte sie sich Gummihandschuhe über, desinfizierte die chirurgische Nadel und starrte sich erneut im Spiegel an. Dann biss sie die Zähne zusammen und begann zu nähen. Vier Stiche genügten. Sie stieß beim Nähen ein lautes Stöhnen aus, das fast wie ein Brüllen klang.
»Was ist denn hier los?«
Der Wachmann stand in der Tür zur Toilette und starrte schockiert auf Linnea. Sie wandte sich vom Spiegel um, während sie angestrengt versuchte, einen Knoten zu binden, und jedes Mal zusammenzuckte, wenn sie den Faden festzog.
»Hat man Ihnen denn nie beigebracht, dass man anklopft, bevor man eine Damentoilette betritt?«
48
D as Geld müsste inzwischen eingegangen sein. Schau doch mal auf deinem Konto nach.«
Kevin Love machte eine Kopfbewegung zu dem Computer, der auf dem kleinen Tisch am Fenster zum Kongens Nytorv stand.
Genau wie das Sprichwort vom Fuchs besagte, der mehr als einen Ausgang kennt, konnte man auch eine Auftragskillerin nicht einfach mir nichts, dir nichts entwaffnen. Love starrte erst auf den Lauf der halbautomatischen Pistole, der auf ihn gerichtet war, dann auf Peggy-Lee, die zugleich zart und doch furchteinflößend wirkte. Sie ging zum Computer und ließ ihre Finger über die Tastatur tanzen, um sich zu vergewissern, dass der versprochene Vorschuss tatsächlich auf ihr Konto auf den Caymaninseln überwiesen worden war. Sie hatte sich mit dem Ziel, ihn zu töten, ins Hotel eingeschlichen. Und er kam nicht umhin, ihre Entschlossenheit zu bewundern. Sie hatte sich mit den Armen und Beinen unter die Fahrstuhldecke geklemmt und dort wie eine Spinne gelauert, um auf ihn herunterzuspringen, sobald er aus dem Fahrstuhl trat.
»Du kannst die Höhe der Summe als einen
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